Lebenslauf
Vereinsleben: Bewegte Zeiten – Rückblick auf die Konzertreise nach Aix und Vaison

Vom 13. Juli bis zum 18. Juli befand sich der Musikverein auf Konzertreise zum Fstival Aix en Provence (Schallarchiv Vol. 12) mit einem zusätzlichen Konzert in der römischen Arena von Vaison-la-Romaine. Was war das für ein Ereignis. Ich versuche aus meinen Erinnerungen hier nochmals einige Dinge zusammenzufassen.

Hin- und Rückfahrt:

Mit einem Sonderzug der Deutschen Bundesbahn ging es nach Aix en Provence auf Einladung des Festivals und von Jean-Claude Casadesus. Maestro Casadesus hatten einen großen Ruf in Frankreich, war ein junger aufstrebender Dirigent mit einem in Frankreich sehr berühmten Vater. In Lille baute er das Orchester auf und führte es in den langen Jahren seines Wirkens bis zum Titel des Nationalorchesters.

Der Sonderzug gestaltete sich als komfortable Form des Reisens in die Provence zumal die Kommunikation im Chor dadurch sehr begünstigt wurde. Allüberall gab es Abteilfeste schon auf der Hinfahrt, von der Rückfahrt nach so überaus erfolgreichen Konzerten ganz zu schweigen.

Aix en Provence:

In Aix angekommen, Zimmer bezogen und sofort in die Stadt marschiert. Begierig saugten wir alle die wunderbare Festival-Atmosphäre auf, ergingen uns in den beeindruckenden Allee-Straßen der Innenstadt und übernahmen sofort das französische Savoir-vivre. Die vielen fröhlichen Menschen und die wirklich unvergleichliche Atmosphäre machten uns diesen Schritt leicht.

Am nächsten Tag ging es sofort in die Kathedrale zur Probe zu Verdis "Requiem". Auch hier ein unvergleichliches Erlebnis mit den größten Solisten der damaligen Zeit zusammenarbeiten zu dürfen. Raine Kabaiwanska, Nadine Denize, Carl Bergonzi und José van Dam und zusätzlich noch Ruggiero Raimondi für das zweite Aix-Konzert und das Konzert in Vaison.

Ein weiterer Punkt für den Zusammenhalt war die Tatsache, dass fast der gesamte Chor in einem Hotel wohnte und die Solisten ebenfalls dieses Hotel bewohnten. Jeden Morgen fand ein reger Austausch beim Frühstück mit diesen großartigen Musikern statt. Besonders Carlo Bergonzi war sehr zugänglich und lud den ein oder anderen an seinen Frühstückstisch ein.

Vaison la Romaine:

Das dortige Konzert im römischen Theater war ebenfalls ein großer Aufreger. Es handelte sich um die erste reine Fernsehproduktion an der der Musikverein teilnehmen durfte. Proben und Konzert entwickelten sich zum wirklichen Ereignis. Bei der ersten Probe in der antiken Arena, die mehr als 3.500 Plätze hat, brach die hintere Reihe des Chorpodiums zusammen und die Altistinnen und die Bässe fanden sich eine halbe Etage tiefer wieder. Probenabbruch, Reparatur und Probenfortsetzung alles mit aufgeregten Leuten beim Produktionsteam wie auch bei Orchester, Solisten und Dirigent.

So sah es aus bei der Orchesterprobe. Direkt danach war die Generalprobe angesetzt mit genauer Positionierung der Solisten für die Fernsehaufnahmen und die TV-Schnitte. Was geschah: Kabaiwanska, Bergonzi und Raimondi weigerten sich zu singen. Es gab irgendwelche, für uns nicht erkennbare, Gagendiskussionen. Wieder große Aufregung da das Fernsehen die Solisten brauchte. Casadesus stellt die Frage an den Chor "Wer kann Sopran, Tenor und Bass übernehmen, da die Altistin, Nadine Denize vor Ort war. So stellten sich Ingeborg Sluzallek als Kabaiwanska, Kunibert Jung als Bergonzi und Andres Schmidt als Raimondi zur Verfügung und sangen alle Solopartien des Verdi-Requiems. Man kann sich vorstellen, wie sich nach der GP der Jubel für die Chorsängerin und die Chorsänger gestaltete. Für Andres Schmidt war dies der erste öffentliche Auftritt und der Beginn einer großartigen Sängerkarriere.

Nun könnte man meinen, wenn die Solisten ihre Gagenprobleme gelöst haben kann das Konzert stattfinden. Weit gefehlt! Der Chor ging nach der GP in zugewiesene Räume und zog sich um zum Konzert. Dann marschierten alle so etwa fünfhundert Meter in Konzertkleidung zur Arena zum Einsingen und zur Konzertvorbereitung. Die Plätze auf dem Podium füllten sich ganz langsam. Just in diesem Moment kamen fünf Damen aufgeregt auf mich zu und berichteten, dass drei Damen ihre Stolen und zwei ihre Noten im Bus liegengelassen haben. Oh Schreck! Fernsehauftritt und drei Damen ohne Stolen, um die wir doch so sehr gerungen haben (siehe Beitrag von 27.4.1978). Ich sauste im Smoking die 500 m zurück zu den Bussen und fand verschlossene Busse vor. Dann lief ich in die umliegenden Lokale und suchte die Fahrer - ergebnislos! Dann zurück zu dem Bus, den die fünf Damen mir beschrieben hatten. Ein Klappfenster stand auf, ich schlug es ein und hangelte mich Kopfüber in den Bus, wobei mir das Klappfenster immer in den Rücken und auf die Beine schlug. Aber ich fand die Stolen und die Noten und verließ den Bus auf dem gleichen Wege. Alles im Smoking und unter Zeitdruck, denn der Konzertbeginn rückte immer näher. Im Dauerlauf lief ich die 500 m zurück zum antiken Theater, lieferte die Utensilien an die glücklichen Damen ab und stellte fest, dass ich bei den südfranzösischen 30 Grad am Abend in meinem Smoking völlig durchnässt war. An der Seite neben der Bühne war ein Wasserkranen, den steckte ich hinter meinen Hemdkragen und ließ das Wasser laufen. Völlig nass und überall tropfend, aber glücklich, nahm ich meinen Platz ein und wartete auf den Konzertbeginn.

Dieses Warten betraf nicht nur mich, sondern uns alle und auch das Publikum. 20.00 Uhr waren erreicht und niemand rührte sich. Das Fernsehen hatte Probleme mit einem quietschenden Fahrgestell für die Umlaufkamera. Es dauerte und dauerte bis das Publikum sich selbst unterhielt und "Frere Jacques" sang. Der Chor stimmte ein. Nach mehr als 30 Minuten Verzögerung kam der Maestro und es konnte losgehen.

Es begann das wunderbare Vorspiel vor unserem ersten gehauchten "Requiem-Einsatz", den wir sehr schön präsentierten. Nach diesem ersten Choreinsatz heulte ganz tief im Tal von Vaison la Romaine ein Hund wirklich herzergreifend. Das Konzert lief weiter und wurde zu einem grandiosen Erfolg. Nach dem Konzert musste jedoch der Anfang nochmals widerholt werden, weil man dem Hund den Auftritt nun doch nicht gönnte. Auch hierüber war das Publikum begeistert und verharrte für die Wiederholung auf seinen Sitzen. Danach war in den Kneipen von Vaison ziemlicher Betrieb.

Erinnerungen von Manfred Hill im Mai 2021

Bild: Vaison la Romaine - antikes römisches Theater - Fernsehproduktion -Verdi: Requiem, Jean Claude Casadesus