Wie ein Traum zerplatzte: Beethovens „Missa solemnis“ für EMI auf CD mit dem Royal Concertgebouw Orchestra unter Wolfgang Sawallisch mit Margaret Price, Hanna Schwarz, Peter Seiffert und John Tomlinson:
„Desaster ist schon kein Ausdruck mehr für das, was dem Musikverein im Juni 1993 widerfuhr: Im Anschluss an die Produktion der Beethoven Symphonien war in Amsterdam die Aufnahme der Missa solemnis für EMI unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch geplant. Für den Chor des Städtischen Musikvereins natürlich eine Verpflichtung aller erster Ordnung, wobei die Missa solemnis als Werk schon eine künstlerisch-technische Herausforderung ohne Gleichen darstellt. Ein solches Stück mit dem Royal Concertgebouw Orchestra unter Sawallisch für die Schallplatte zu produzieren ist für jeden Chor schlicht ein Traum.
Ich erinnere mich noch genau an den Telefonanruf von Kunibert Jung am Mittag des 2. Juni: „Die Missa ist abgesagt!“ Ich traute meinen Ohren nicht. Das war also der Super-GAU schlechthin. Die Missa für die Schallplatte und dann in diesem Rahmen! Es sollte ein Traum bleiben. Gisela Kummert –für die Organisation aller Konzertreisen damals verantwortlich- berichtete mir dann später: „Nach Monaten intensivster Proben und Vorbereitung stand der Chor buchstäblich mit gepackten Koffern an der Tonhalle um auf die Busse nach Amsterdam zu warten. Die Abfahrt war für Mittwoch, 2.6.1993, 13.30 Uhr vorgesehen. In der Nacht vorher, kurz vor Mitternacht des 1.Juni warf in meinem Büro ein an der Sache völlig unschuldiges Fax-Gerät eine verhängnisvolle Botschaft aus, die knapp und präzise verkündete: "Mit Blick auf die Absage von 2 der 4 Solisten haben wir uns entschließen müssen, das Werk abzusetzen!" Es war der reine Zufall, dass ich am Vormittag des 2.6. überhaupt noch einmal kurz an meiner Arbeitsstelle vorbeischaute, und so zumindest die Abfahrt der Busse verhindern konnte.“
Monate später saß ich mit Wolfgang Sawallisch im Dirigentenzimmer der Berliner Philharmonie und sprach noch einmal über dieses „Missa-Desaster“ mit ihm. Ich fragte, ob es denn irgendwann und irgendwo noch einmal eine Chance für eine gemeinsame Missa geben könne. Er meinte resigniert: „In diesem Leben wohl nicht mehr!“
So traurig es ist, er sollte Recht behalten.“
Wie hoch die Wertschätzung von Wolfgang Sawallisch dem Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf gegenüber war, beweist die Anfrage des Dirigenten, in der Spielzeit 1994/95 mit ihm Bachs Matthäus-Passion an der Mailänder Scala zu musizieren. Diesmal musste der Musikverein schweren Herzens absagen. Grund waren die äußerst anspruchsvollen Proben zu Edison Denissows „Morgentraum“, dessen Uraufführung für Januar 1995 als Auftragswerk des Musikvereins fest terminiert war.
Aber: Welch ein musikalischer Vertrauensbeweis!“
Erinnerungen von Rainer Großimlinghaus im Dezember 2017
Bild: Sawallisch, Wolfgang (1923-2013)