Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf war gemeinsam mit dem Philharmonia Chorus London im Concertgebouw Amsterdam um die „Grande Messe des morts“ von Hector Berlioz aufzuführen (Schallarchiv Vol. 11). Neeme Järvi war für Leonard Bernstein eingesprungen, dessen Plan Mahlers 8. zu dirigieren und aufzunehmen aus finanziellen Gründen kurzfristig abgesagt werden musste:
„Irgendwie hatten wir alle noch einen Kloß im Hals, denn das Projekt 8. Mahler wäre zu schön gewesen. Aber…..
Als wir am Abend des 9. November 1989 vom Podium kamen, fielen uns mehrere Mitglieder des Concertgebouw Orkest um den Hals und gratulierten. Dabei wussten wir nicht, wovon sie sprachen. Wir hörten immer nur „Berlin“ und „Mauer“, konnten das aber nicht so recht zuordnen. Als ich anschließend ins Hotel kam und den Fernseher anstellte, sah ich zwar die Bilder im Niederländischen TV, konnte aber die aufgeregten Kommentare nicht verstehen, da ich des Niederländischen so gut wie nicht mächtig war. In dieser Nacht der pausenlosen Live-Berichterstattung wurde mir dann langsam klar, dass es sich nicht um einen aufwendigen Spielfilm, sondern um Realität handelte.
Der kommende Tag, 10. November 1989 brachte noch mal das Berlioz-Requiem, was für mich allerdings bedeutete, dass ich nach dem Konzert sofort in meinen Wagen stieg und in Richtung Berlin fuhr. Die Ereignisse konnte ja niemand vorausahnen, und so kam es, dass ich mit klopfendem Herzen via Bad Oeynhausen auf die A2 Richtung Hannover-Berlin fuhr. Den Termin mit der staatlichen Künstleragentur und dem Intendanten des Schauspielhauses (heute: Konzerthaus), Herrn Schumann, hatte ich vor Monaten schon abgesprochen. Wir wollten an den großen Erfolg der DDR-Tournee vom Mai anknüpfen und nach Wegen suchen, vielleicht doch ein gemeinsames Konzertieren z.B. mit dem Gewandhausorchester in die Wege leiten.
Die Wegstrecke über die A 2 werde ich wohl niemals vergessen. Blau war der Dunst von 10.000den Trabis, die mir aus Richtung DDR entgegen kamen. Auf jeder Brücke standen hunderte Menschen mit selbst gemalten Bettlaken, auf denen stand „Willkommen!“ oder „Ab in die Freiheit!“ usw.
In Berlin kam ich dann zufällig exakt in dem Moment über die Leipziger Straße zum Potsdamer Platz, als Bundespräsiden von Weizsäcker auf einen DDR-Grenzsoldaten zuging und dieser dann die berühmt gewordene Meldung „Herr Bundespräsiden, melde: keine besonderen Vorkommnisse!“ über den Platz donnerte.
Am folgenden Montag war ich in Leipzig mit der Intendanz des Gewandhauses verabredet. Abends zog an meinem Hotelfenster eine jener überwältigenden Montagsdemonstrationen vorbei. Es ist mit Worten auch heute (2018) noch nicht zu beschreiben….“
Erinnerungen von Rainer Großimlinghaus im Dezember 2018
Bild: Concertgebouw Amsterdam