Fortsetzung des vorangegangenen Artikels:
(3)"Noch zwei freudige Ereignisse waren ihm zu erleben beschieden. Das eine war eine Tour nach Holland, wo ungeahnte Triumphe seiner warteten. Das andere war seine Bekanntschaft mit Johannes Brahms, der ihm von Joachim empfohlen war und seine ersten Kompositionen vorspielte. 22 Jahre waren vergangen, seitdem der junge Schumann in einem begeisterten Aufsatz der Welt das Auftreten des jungen Chopin verkündet hatte. Nunmehr, am Ende seiner Künstlerlaufbahn, griff er noch einmal zur Feder, um getreu seinen Grundsatz, das Streben junger Talente zu fördern, einen jungen Künstler in die Welt einzuführen. Wie seine damaligen Worte, so waren auch die über den »jungen Adler« die eines Propheten. Trotz aller Abspannung vermochte sein Geist die Bedeutung des jungen Genius noch voll zu erkennen. Was allein auffällt, ist die merkwürdig überschwängliche Form, in die er seine Gedanken darüber kleidet; sie gemahnt stark an die jeanpaulisirende Manier der Jugendbriefe. So z.B. wenn er Brahms den »aus den Alpen zugeflogenen Adler« nennt oder ihn mit einem prächtigen Strome vergleicht, der »wie der Niagara am schönsten sich zeigt, wenn er als Wasserfall brausend aus der Höhe herabstürzt, auf seinen Wellen den Regenbogen tragend und am Ufer von Schmetterlingen umspielt und von Nachtigallenstimmen begleitet.«
Die Freude an dem neu aufsteigenden Genie Brahms' war seine letzte. Von seiner holländischen Reise am 22. Dezember zurückgekehrt, lebte er in den ersten Monaten des Jahres 1854, eine kleine Reise nach Hannover abgerechnet, sehr zurückgezogen. Er kehrte wieder zurück zu den schriftstellerischen Neigungen seiner jungen Tage. Ein grösseres Werk, »Dichtergarten« benannt, sollte alle Dichterworte über die Musik in einem Blüthenstrauss zusammenfassen, und schon war er bei den Alten, Homer und Plato, angelangt. Daneben beschäftigte ihn eifrig die Redaktion seiner »Gesammelten Schriften«. Da traf ihn der gewaltsame Ausbruch seiner Krankheit.
Das erste bedenkliche Symptom war, dass er Anfang Februar plötzlich des Nachts aufstand und Licht verlangte, da er von Franz Schubert ein Thema erhalten habe, das er sofort aufschreiben müsse. Am 27. Februar war er bei der fünften Variation darüber angelangt, als ihn ein dermassen intensives Angst- und Beklemmungsgefühl überkam, dass er sich aus dem Kreise der anwesenden Bekannten wegstahl und von der Rheinbrücke in den Strom stürzte. Von Rheinschiffern gerettet und nach Hause zurückgebracht, machte er sich alsbald schweigend an die Fortsetzung jener Variation. Die nach der Katastrophe sich einstellende Erholung war nicht von Dauer; ihn selbst verlangte nach der Unterbringung in einer Heilanstalt. So erfolgte denn am 4. März die Ueberführung des unglücklichen Meisters in die Privat-Irrenanstalt des Dr. Richarz in Endenich bei Bonn, die er bis zu seinem Tode nicht mehr verlassen sollte."
Bild: Die Anstalt zu Endenich um 1850-Zeichnung: Stadtarchiv Bonn (Schumann-Haus Endenich)