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Mendelssohnbrief 010

Musikfest = Düsseldorf - 18. Niederrheinisches Musikfest am 22. und 23. 5. 1836

Der Brief Nr. 10 von diesem Tage macht auch wieder deutlich, dass Mendelssohn sich wie ein Musikmanager modernster Prägung um alle Aspekte kümmerte. Im vorletzten Absatz offenbart er v. Woringen seine Gemütsverfassung und seine fortdauernde Trauer über den Tod seines Vaters Abraham (Bild) im November 1835:

„Herrn Assessor F. von Woringen
Hochwohlgeboren in Düsseldorf
Lieber Freund
Da ich die Radziwillsche Partitur erst gestern Nachmittag empfing, so kann ich erst heute Dir darüber schreiben. Ich habe sie mir mit dem lebhaften Wunsche durchgesehen, dass sich für den zweiten Tag des Musikfestes etwas darin finden möge, aber ich bedauerte zu sehen, dass die Musik zu diesem Zwecke sich durchaus nicht eignet. Um der Neuheit und des Namens willen wäre es sehr erwünscht gewesen; ich hätte auch gedacht man könnte die Ouvertüre, die Chöre „Christ ist erstanden“ mit Weglassung des Dialogs dazwischen, dann etwa Gretchens Lied „Ach neige“ und zum Schluß den Chor „Schwindet ihr dunklen Wölbungen“ und „Weh, du hast sie zerstört“ daraus nehmen und einzeln aufführen; wenigstens sind das die einzigen Nummern, die theils des Textes, theils des Dialogs halber möglicherweise gegangen wären – aber indem ich sie mir im Zusammenhang dachte und überlas, wurde mir es sehr klar, dass es ohne die geringste Wirkung vorübergehn würde, ja, dass es mit seiner dunklen Haltung und Instrumentirung der Beethovenschen Symphonie und ihrem Eindruck Schaden thun würde, indem die Leute sich nach der Radziwillschen Musik nach etwas Heiterem, leicht Fasslichen sehnen würden, und somit nicht gut für die große Symphonie vorbereitet wären.
Aus diesem Grunde wird es also wohl bei der Erndte-Cantate von Weber bleiben müssen. Dies ist mir auch lieb, da es ein sehr heiteres freundliches Stück ist, mit drei sehr brillanten Soloparthien, und einigen höchst interessanten Musikstücken, jedenfalls des Festes ganz würdig, und auch soviel ich weiß, erst einmal vor längerer Zeit in Cöln gegeben. Die Chöre sind leicht, und erfordern wenig Zeit zum Einstudieren, was auch bei der Schwierigkeit der Beeth. Symph., und der Menge Chöre in meinem Oratorium erwünscht ist – kurz, wenn sich währenddessen nicht etwas entschieden Besseres sollte gefunden haben, so glaube ich, wir könnten nichts Passenderes als diese Cantate wählen. Die Partitur schicke ich morgen (da heute keine Fahrpost geht) an Dich ab, lege aber meine Partitur aus Anacreon nicht dazu, obwohl ich es versprochen hatte. Der Text des Finales ist so wenig christlich, vielmehr so entschieden Anacreonsisch, dass ich meinen Vorschlag für das Morgen-Concert zurücknehmen muß, weil ich aus Wupperthal dabei nicht gedacht hatte. Willst Du es für den Singverein haben, so werde ich Dirs mit einer anderen Gelegenheit schicken.
Die Chorstimmen der Weberschen Cantate sind nicht gestochen. Willst Du, dass es geschehen soll, so gieb mir möglichst schnell Nachricht und sage die Anzahl Exemplare, die ihr braucht, damit ich Schlesinger, dessen Eigenthum es ist, darüber schreiben kann, oder was noch besser wäre, schreibe es ihm direkt nach Berlin, denn ich glaube nicht, dass ein Anderer, als er die Stimmen stechen darf. Jetzt wäre die Sache freilich sehr pressiert, und du müsstest Dich auf jeden Fall erst in Cöln erkundigen, ob dort nicht noch die Stimmen der früheren Aufführung vorhanden, und zu Eurer Disposition sind. Die Partitur ist jedenfalls dort zu finden, und ich schicke sie nur, weil Du mir den bestimmten Auftrag giebst.
Der zweite größer gedruckte Text „Erndte-Cantate“ wäre auf jeden Fall vorzuziehen. Jedoch wäre es mir sehr lieb, und von großem Vorteil für das Ganze, wenn an einigen Stellen auch dieser Text noch ein wenig geändert und gebessert werden könnte. Er ist hier und da auch gar zu unbehülflich. Vielleicht erlaubt es Dir Deine Zeit, Dich ein paar Stunden damit zu beschäftigen, wo nicht, so gieb irgend einem anderen, der es gut machen kann, Auftrag. Die Stellen, wo ich besonders eine Aenderung notwendig halte, sind: in der Tenor-Arie von pag. 36 (der Partitur), wo ich „die Wissenschaft & Co.“ sehr gern fort hätte, und noch mehr auf den folgenden Seiten das Lob „Des weisen Führers“. Es klingt gar zu verdammt prosaisch, das Lob des „schönen Wetters“ gefiele mir noch zehnmal besser. – Ferner die ganze Sopran-Arie von pa. 58, die sich auf die Krankheit des Königs bezieht, und zur Erndte passt, wie die Faust aufs Auge. Am allermeisten aber bedarf das Recit. Pag. 96 anderer Worte, die sich mehr auf die Erndte, und weniger auf Gott, König und Vaterland beziehen, damit der darauf folgende Chor in cdur nicht gar zu heterogen klinge, die „Stimme in den Wolken“ und die Krone des Gerechten und der „Erntekranz“ gleichdarauf passen gar zu wenig.
Wenn aber nun diese Cantate gewählt wird, so muß ich auf meinen vorigen Brief mich wieder beziehen, und sagen – denique censeo -, ich meine, dass die Beethovensche Leonoren-Ouvertüre (schon als Neuigkeit) den jeder anderen vorzuziehen wäre.
Von meiner Partitur des Oratoriums werde ich eine Abschrift nach Düsseldorf schicken, und dich bitten, das Ausschreiben der Instrumental- und Solostimmen dort zu besorgen. Ich habe hier keinen recht guten Copisten. Der erste Theil wird in der ersten Hälfte, und der zweite in der letzten Hälfte des nächsten Monats in Deine Hände gelangen. Ich selbst denke etwa den 8ten Mai in Düsseldorf einzutreffen.
Mit wie vieler Freude ich denn das gütige Anerbieten bei Euch zu wohnen annähme, das brauche ich Dir wohl mit keinem Worte zu sagen. Da ich noch immer weder an der Musik, nach an sonst etwas rechte Freude habe, so ist das einzige, worauf ich mich bei dem Feste und überhaupt noch freuen kann, das Wiedersehen derer, die mir noch geblieben sind. Aber mich hat Schadow vor meiner Abreise so bestimmt aufgefordert, bei ihm zu wohnen, wenn ich zum Feste käme, dass ich auf jeden Fall bei ihm anfragen muß, und er sonst mit Recht auf mich zürnen könnte. Ich denke ihm deshalb in diesen Tagen zu schreiben, dass ich aber Dir und Deinem lieben Vater für die gütige Einladung ebenso dankbar bin, als wenn ich sie annehmen könnte, das weißt Du. Und sage Deinen lieben Schwestern und dem Vater meinen Dank und meine herzlichen Grüße.
Nun bitte ich Dich, mir so bald als möglich die Entscheidung des Comités mitzutheilen, und mir zu sagen, ob ich den Händelschen Psalm instrumentieren muß, oder ob eine Orgel sich finden läßt. Ferne wie es mit den Solisten aussieht. Ferner ob die Auswahl für den 2ten Tag: „Psalm v. Händel, Ouv. v. Beethoven Leonore, Ernte Cantate von Weber, und 9te Symph. v. Beeth.“ vom Comité genehmigt wird; mir wäre sie die liebste. Doch wiederhole ich, daß ich mich auch mit jeder anderen Bestimmung des Comités vollkommen einverstanden erkläre. Es freut mich sehr, dass Rietz darin ist, der dem ganzen gewiß von wesentlichem Vortheile ist. Ferne schreibe mir, wenn die Proben bei Euch angehen und mach, dass sobald als möglich angefangen wird. Kurz schreibe mir so viel und sobald Du kannst und lebe wohl und glücklich,
Dein Felix Mendelssohn-Bartholdy
Leipzig, den 30ten März 1836.“