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Mendelssohnbrief 009

Musikfest = Düsseldorf - 18. Niederrheinisches Musikfest am 22. und 23. 5. 1836

Im Brief von diesem Tage (Brief Nr. 9) äußerte Mendelssohn seine Sorge über die Möglichkeit der Trübung seines Verhältnisses mit v. Woringen wegen eines Briefes seiner Mutter an v. Woringen und beschäftige sich wieder ausführlich mit dem Festprogramm:

„Herrn Assessor F. von Woringen
Hochwohlgeb. in Düsseldorf
Lieber Ferdinand!
Deinen gestern erhaltenen Brief eile ich sogleich zu beantworten, und dich vor allen Dingen zu bitten, aus dem was meine Mutter von hier aus an Dich geschrieben ja kein Mißverständnis werden zu lassen. Es ist mir durchaus nicht eingefallen, Dir in irgend einer Beziehung Saumseligkeit in den Anstalten des Musikfestes Schuld geben zu wollen, und hoffentlich weißt Du, dass ich Dich zu gut kenne, um dergleichen nur einen Augenblick zu denken; was ich gegen meine Mutter äußerte, war, dass es mir leid wäre, dass so viele wichtige Bestimmungen über das herannahende Fest noch nicht getroffen seien, und dass ich dies für einen großen Uebelstand hielte. Daß aber Du daran nicht die geringste Schuld hast, weiß ich gewiß, und so hoffe ich, du werdest das Wort, das meine Mutter geschrieben, nicht so aufnehmen, wie es nicht gemeint gewesen sein kann. Denn Du bist ja auch meiner Meinung, dass es die höchste Zeit schon ist, mit Anordnungen wie die Auswahl für den zweiten Tag, die der Solosänger ins Klare kommen, und doch wäre es gewiß gut gewesen, über so wichtige Fragen mehr hin und her zu correspondieren, als bis jetzt hat geschehen können, denn ich bin nicht Deiner Meinung, dass ich die Verantwortlichkeit der Auswahl, ihre Billigung oder Missbilligung, allein zu tragen haben solle – ebenso wenig, wie ich dies dem Comité alleine zuwenden möchte – sondern ich meine dies sei eine Verantwortlichkeit die das Comité und ich gemeinschaftlich über nehmen, und wegen derer wir uns also genau verständigen müssten. Es ist mir daher doppelt lieb, dass Du mir die Vorschläge des Comites für den zweiten Tag hast mitschicken können. Was erstlich die Wahl der Symphonie betrifft, so halte ich es nun für gewiß, dass die neunte Beethovensche gemacht wird; ich wenigstens möchte keine andere wünschen, sobald Ihr die Schwierigkeit und den tiefen Ernst des Stückes nicht scheut; da nun gar noch ein dritter Tag projektiert wird, wo es noch heitere Musik vollauf geben kann, so würde keine bessere Wahl zu treffen sein, als diese, und ich betrachte sie nun als definitiv. Sie wird also den zweiten Theil bilden.
Der Psalm von Händel bedarf allerdings notwendig der verstärkten Instrumentierung, wenn es nicht möglich ist in den Saal eine Orgel zu bringen, wie voriges Jahr in Cöln. Das ist allerdings die würdigste, oder einzig rechte Art den Händel aufzuführen. Geht es aber nicht an, wie ich fast fürchte, so werde ich versuchen die Orgel durch zugefügte Blasinstrumente zu ersetzen. Ich bitte Dich um baldige Antwort auf diesen Punct.
Die Ouvertüre zu Elisa von Cherubini ist schön, und ich wäre ganz einverstanden mit der Wahl derselben, aber ich möchte doch dem Comité nochmals zu bedenken geben, ob die dritte Beethovensche zu Leonore nicht interessanter an dieser Stelle wäre? Du sagst, da sie nicht so schön sey als die beiden anderen, sey sie nicht fürs Musikfest geeignet. Doch ist sie nach meiner Meinung in jedem Fall eben so schön, wohl noch viel schöner, und wirksamer als die Cherubinische, deren Schluß namentlich nicht kräftig ist, und endlich wäre die Beethovensche eine wahre Neuigkeit, da sie meines Wissens fast nirgends noch gehört worden ist. Daß sie nicht allein nicht ohne Interesse, sondern eine große Zierde Eures Musikfestes sein würde, kannst Du mir auf mein Wort glauben. Ich bitte das Comite zwischen den beiden zu entscheiden, und bitte Dich, mir den Beschluß mitzuteilen. Ich glaube Dir schon im vorigen Brief geschrieben zu haben, dass Schindler in Aachen, die Stimmen der Beethoven-schen besitzen soll; es ist aber zweifelhaft, ob er sie hergiebt oder hergeben darf.
Ueber das folgende Gesangstück endlich kann ich heute noch nicht so definitiv schreiben wie ich möchte, da hier nirgends ein Exemplar des Faust von Radzivil existirt. Ich habe gestern gleich nach Empfang Deines Briefes nach Berlin darum schreiben lassen, und werde Dienstag (d.29sten) die Partitur hierher bekommen. Finde ich es dann irgend geeignet, so schicke ich die Partitur sogleich an Dich ab, denn allerdings wäre mir es am liebsten, wenn sich nur irgend geeignete Stücke fürs Concert darin fänden, den Faust zu wählen, der durch den Verfasser und die gänzliche Neuheit gewiß sehr interessieren würde. Die von Dir bezeichnete Hymne von Schneider „Jehova dir frohlockt pp“ habe ich hier gleich erhalten, aber sie ist für einen doppelten Männerchor, ganz ohne Frauenstimmen, d.h. blos mit Begleitung von Blechinstrumenten und Contrabässen (für die Märkischen Gesangfeste componiert) ich würde also in keinem Falle dafür stimmen. Ließe sich nun (wie Du zu fürchten scheinst) aus Radzivils Faust keine Auswahl fürs Fest treffen, so bliebe nur die Webersche Erndte (oder Jubel-) Cantate; es liegen zwei Texte darunter, und der auf die Erndte bezügliche wäre der passendere für das Musikfest) auch diese habe ich mit seit gestern mit Rücksicht auf das Fest angesehen; an Solostücken fehlt es darin nicht, einige Stellen z.B. der Anfang gefallen mir vorzüglich, und ich zweifle nicht, dass sie auf viele einen sehr guten Eindruck machen würde. Aber freilich ist sie ungleich und einiges darin nicht ganz der Würde eines Musikfestes entsprechend. Darum erwarte ich den Faust mit Ungeduld, und schreibe das Definitive hierüber erst nach dessen Empfang, am nächsten Dienstag. Bis dahin bitte ich Dich auch Deine Antwort zu verschieben. Die Webersche Cantate ist übrigens in Cöln, wo sie vor mehreren Jahren gegeben worden sein soll. Ehe sich für den dritten Tag etwas bestimmen läßt, müsste man wissen, welche Solosänger und –spieler sich beim Feste einfinden werden. Vielleicht könnte ich mit Rietz und dem Vorgeiger das Tripelconcert von Beethoven spielen. Oder sonst etwas mit Rietz. Im Falle ein Finale gemacht werden sollte, werde ich Dir mit dem Faust (falls er mir ausführbar scheint und ich ihn also schicke) ein Cherubinisches Anacreon schicken, das sehr schön ist, viele und dankbare Solos enthält, und sich gewiß eignete. Falls es nicht gemacht würde, wäre es in jedem Falle für den Musikverein eine gute Aquisation und ich könnte die Partitur dann wieder mit zurücknehmen.
Die Sänger betreffend, so würde ich, falls die Decker käme, es für überflüssig halten, auch die Grabau zu engagieren; im andern Falle aber sehr dazu rathen. Auch könnte mirs natürlich nur lieb sein, wenn an Breiting, oder Mantius oder Eichberger (der auch in Berlin ist) geschrieben würde, denn das würde Deine Mitwirkung ja nicht ausschließen. Ich muß dies jedoch ganz dem Gutbefinden des Comités überlassen. Die Soloparthien meines Orator’s sind nicht wichtig genug einen Sänger (außer dem Bassisten) dafür expreß zu engagieren.
Ich muß eilig schließen, weil die Post geht, also nur noch meinen Dank Deinem lieben Vater und Dir für Euer gütiges Anerbieten, und mehr und ausführlich im nächsten Briefe
Dein Felix Mendelssohn Bartholdy.“