Lebenslauf
Felix Mendelssohn Bartholdy

Musikfest = Düsseldorf - 18. Niederrheinisches Musikfest am 22. und 23. 5. 1836

Auszug aus einer Veröffentlichung der Zeitschrift „Die Musik" aus dem Jahre 1913. Es handelt sich hierbei um einen Aufsatz des Oberst Emil von Webern, aus den Erinnerungen seines Großvaters über die Begegnung mit Mendelssohn in Düsseldorf im Herbst 1833 und beim Musikfest 1836 und gibt einen guten Einblick in die Düsseldorfer Zeit des großen Komponisten:

„…Ich sah Mendelssohn zum ersten Male in Berlin im Winter 1821/22 in der Singakademie, und obschon ich mich niemals für frühreife Talente begeistern konnte, entsinne ich mich doch noch sehr wohl, dass der bereits zum schönen Jüngling gereifte Knabe mit schwarzem, langgelocktem Haar, mit seinen dunklen, lebendigen und doch so sinnigen Auge einen ungewöhnlichen und bleibenden Eindruck auf mich machte. Er war mir ein junger Daniel, der unbekümmert der ihn umstehenden Bestien begeistert seinem Gotte ein Loblied singt. Damals lernte ich auch den originellen Zelter kennen und glaube aus seinem eigenen Mund den Ausspruch gehört zu haben, der später in seinem Briefwechsel mit Goethe gedruckt zu finden war: „Der junge Bengel wird in der musikalischen Welt noch von sich reden machen und ihr was aufzuraten geben.“
Seitdem verfolgte mein Auge ihn, ich freute mich seines Ruhms, mit dem er in Weimar vor Goethe gespielt, seines ersten Quartetts, das er diesem Hohenpriester unserer klassischen Literatur widmen durfte, und seines gefeierten, für ihn so wirksamen Aufenthalts in Rom. Als ich zu Pfingsten 1833 das Erste Rheinische Musikfest in Düsseldorf besuchte, war mein erster Gang zu Felix, der damals die in den Garten gehenden reizenden Räume des Schadowschen Hauses auf dem Flinger-Steinweg (Schadowstr.) bewohnte. Er empfing mich entgegenkommender, als dies wohl gewöhnlich seine Art war, sei es, dass durch die mannigfachen Verbindungen und Beziehungen, die im weiten Gebiete der Kunst damals am Rheine bestanden, ihm bereits mein Name und meine Vorliebe für ihn und seine Leistungen bekannt war, oder ihn meine Persönlichkeit gleich von Haus aus ansprach. Genug, vom ersten Augenblick an knüpfte sich ein Band gegenseitiger Zuneigung, innigen Verständnisses, vertraulichen Sichgehenlassens zwischen uns, das je länger, um so fester, je zwangloser, um so unlöslicher wurde, und das nur durch seinen unerwarteten, allzu frühen Tod zwar getrennt, aber nicht zerrissen werden konnte.
Als ich im Herbst desselben Jahres 1833 einige Monate in Düsseldorf stand, war ich Felixs ständiger Gast, oder er der meinige; die Abende in seinem Gartenzimmer sind mir unvergeßlich und unvergänglich geblieben. Ich will versuchen, ihrer einen zu beschreiben.
Zuweilen mit Felix Mendelssohn unter vier Augen, gewöhnlich aber mit zwei oder drei seiner vertrauten Bekannten vereinigt, auf Sofas oder weichen Sesseln hingestreckt, ließ sich jeder in seiner Weise bei einem Glase Wein ohne einen Zwang an und aus, dies oder jenes von den Erfahrungen und Belehrungen seines Lebens zum besten gebend. Meist aber tischte Felix vom Leckersten auf und bezahlte dann noch großmütig die Zeche. Er gab uns seine Tagebücher und Zeichnungen – und in diesen war sein Kompositionstalent ebenso liebens- und bewunderungswürdig als in der Musik -, auf seinen Reisen in Italien, England und Schottland gesammelt, mit erfreulichster Unbefangenheit und mündlich die witzigsten und humoristischsten Zusätze und Erläuterungen zum besten.
Wenn uns allen dann so recht das frohe Herz auf der Zunge lag, dann setzte er sich plötzlich an seinen englischen Flügel, den ihm damals die Philharmonische Gesellschaft in London als Geschenk gesandt hatte, und nahm uns alle auf seinen Engelsflügeln mit in ein anders himmlisches Reich. Wer Mendelssohn in solchen Augenblicken phantasieren gehört hat, oder in anderen, selteneren, die Orgel spielen, wer gesehen und gefühlt hat, wie er für das Hohe, Reine, Edele der göttlichen Kunst empfänglich und begeistert, Heroen wie Händel, Bach und Beethoven von der ersten bis zur letzten Note nicht nur auswendig wußte, sondern ganz in sich aufgenommen hatte, und ein solches Ton-Spiegelbild als seine eigenste und innigste Apotheose wiedergab, bei dem kann auch nicht der leiseste Zweifel walten, dass Felix der reichbegabteste, seltenste, herrlichste Mensch, nicht nur in seiner Kunst, sondern mehr noch seiner Natur nach sei. Und nie war er liebenswürdiger, unbefangener, kindlicher als in diesen Momenten.
Düsseldorf bot damals das gefälligste Bild eines großen Vereins von vielseitig gebildeten, sinn- und kunstverwandten Menschen aller Stände. Der teilweise sehr begüterte Adel, die Beamten, und vor allem der wirklich humane und liebenswürdige Prinz Friedrich, erkannten einen Vorzug ihrer geselligen Kreise darin, recht oft mit den Malern, Dichtern und deren Genossen zu verkehren und ihre Talente fruchtbar und nutzbar zu machen. Dieser Sinn und Hang gab die nächste Veranlassung zu kleineren und größeren geselligen Festen, wo das leidige Kartenspiel alsobald einem sinnigen Sprichwort-, Märchen- oder gar Fastnachtspiele mit Musik und im Kostüm weichen musste.
Jedermann fand sich befriedigt, ja entzückt, einer wollte es dem anderen zuvortun, dieser noch etwas Besseres leisten, und so geschah denn, dass jeder in seinem Fach und Dach zu seinem und anderer Erholung und Vergnügen vollauf zu tun hatte. Die beste Folge war nun auch noch die Verbesserung des Theater; Aktionäre mit bereiten Mitteln traten zusammen, Prinz Friedrich an ihrer Spitze. Immermann wurde ein dreijähriger Urlaub von seiner Stelle als Oberlandesgerichtsrat erwirkt, ihm ein auskömmliches Jahresgehalt gesichert und ihm mit den besten Wünschen und Hoffnungen die Oberleitung übertragen. Die besten und hierzu geeignetesten Maler übernahmen freudig die Aufsicht und Arbeit der Szenerie, der Dekorationen, der Kostümierung und Gruppierung, Felix die Leitung des Orchesters. Bald war alles herrlich im Zuge, ein vortreffliches Schauspieler- und Sängerpersonal gefunden und was ihnen etwa noch fehlte, beigebracht. Bei der Lust und Freudigkeit, die nach allen Seiten herrschte, bei Lehrenden und Lernenden, bei Schauenden und Zahlenden wurde wirklich in kürzester Zeit unglaubliches geleistet, und um zu wissen, was guter Wille, Fähigkeit und Festigkeit vermag, muß man, wie ich so oft freudiger Zeuge einer Probe oder der Ausführung der sogenannten Musterstücke eines Calderonschen oder Shakespeareschen Dramas oder eines Tieckschen dramatischen Märchens oder einer Mozartschen Oper gewesen sein. Auch glaube ich nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage, dass, immer mit Rücksicht und nach Verhältnis der Mittel, zu keiner Zeit und keinem Ort in Deutschland noch ein besseres Theater bestanden hat, das unter Immermann in Düsseldorf. Ich wüsste nun wirklich schwer anzugeben, warum es bald und früher als jemand glauben konnte, sein Ende erreichte. Kaum glaube ich dass diese theatralischen Irren und Wirren störend oder auch nur unliebsam auf Mendelssohn eingewirkt haben, der bis zum letzten Augenblick im besten Verhältnis mit Immermann und seinen Schicksalsgenossen blieb, mehr wohl noch auf seine Stellung zu den rheinische Musikfesten, die gerade seiner Leitung, Haltung und Verwaltung einen mächtigen Aufschwung verdanken. Ich erinnere nur an die Uraufführung des Paulus bei dem herrlichen Musikfest zu Pfingsten 1836. ich kenne nichts, was einen gewaltigeren musikalischen Eindruck gemacht hätte auf mich, auf alle sei-ne Freunde und Anhänger, auf alle Unbefangenen, nichts was seine Gegner und Widersacher auf lange Zeit so zu Boden geworfen und zum Schweigen gebracht hätte. Ich weiß nur, dass, als ich das große, tief aus dem Herzen mit echt christlichem Sinn geschöpfte Werk in seinem ganzen Zusammenhang und Verständnis zum ersten Male gehört hatte, ich nach der Probe zu Mendelssohn an das Pult sprang und mich an seine Brust warf, und dass er freundlich milde, demütig und gerührt mir antwortete: „Wirklich, hat es Ihnen so sehr gefallen, das freut mich ungemein, aber warten Sie nur, mit Gottes Hilfe wird noch viel Besseres kommen“ Und wahrlich, er hat auch Wort gehalten, obschon keins seiner späteren Werke je wieder so einstimmigen und augenblicklichen Erfolg gehabt hat. Aber welche köstliche, reiche und reine Quelle ist mit dem frühen Heimgang dieses seltenen Menschen verschüttet worden!“

Bild: Stadtansicht von Süden (Ölgemälde von Bartholomäus Johannes van Hove - Stadtmuseum Düsseldorf). So dürfte Felix Mendelssohn Bartholdy die kleine Stadt mit dem großen Musikfest bei seinen Spaziergängen, von Benrath kommend, gesehen haben.