Lebenslauf
Bewegte Zeiten: Konzertsäle und das Jahr 1989

Es war ein Jahr wie keines zuvor. Die DDR-Tournee stand im Mittelpunkt, war sie doch die ausgedehnteste, aber auch die heikelste. Das galt für Chor wie Orchester gleichermaßen. Wir hatten in Düsseldorf mit der Tonhalle am Rhein zwar auch eine adäquate Heimat, aber es gab Tücken. Räumlich war das Publikum sehr nahe bei den Musikern, akustisch jedoch stellten sich gewaltige Probleme heraus. Auf einer Video-Dokumentation der Konzertreise durch die damalige Deutsche Demokratische Republik (Schallarchiv DVD-Volume 10) kann man sehr schön nachvollziehen, wie die Musiker der Düsseldorfer Symphoniker beim Betreten des Schauspielhauses (heute: Konzerthaus) am Gendarmenmarkt auf den dortigen großen Saal reagierten. Burkhard-W. Godhoff bekam förmlich den Mund nicht mehr zu; in ihm klang sozusagen, was er sah. Für den Chor war es selbstverständlich, extrem deutlich und präsent zu artikulieren und in der Tongebung zu gestalten. Die zahlreichen Schallplattenproduktionen der Vergangenheit hatten das so gelehrt. Bei der Probe im Schauspielhaus sprang Professor Schmidt nach den ersten Tönen auf und sagte fast verzweifelnd: „Liebe Leute, alles, aber auch alles halb so stark! Und das ist mir fast noch zu viel.“ Dieser Konzertsaal, der optisch an den Musikvereins-Saal in Wien erinnert, war ad hoc das, was man sich (akustisch) so sehr für Düsseldorf gewünscht hätte.

Der damalige Kulturpalast von Dresden war den Musikern aus Düsseldorf schon eher „vertraut“, erinnerte er doch an die vielen „Mehrzwecksäle“ der Bundesrepublik (alt), wie z.B. die seinerzeit uns gut bekannte Mercatorhalle in Duisburg. Nur eben deutlich größer. Da hatten wir also wieder jenen etwas verkürzten Klang und die Probleme mit dem sich gegenseitigen Hörens.

Ganz anders der Saal des Neuen Gewandhauses in Leipzig, der irgendwie auf den ersten Blick an die Berliner Philharmonie erinnert. Deren Akustik allerdings ist und bleibt wohl einmalig. Gleichwohl war es eine besondere Freude und Ehre, dort in Leipzig zu Gast sein zu können.

Kurt Masur, der langjährige Gewandhauskapellmeister, spielte in der Zeit des Umbruchs in der DDR (und das war ja die Zeit unserer Tournee 1989) eine auch außermusikalisch herausragende Rolle. In einem Interview mit der ARD verwies er im Zusammenhang mit dem Aufbegehren der Menschen vor den Türen „seines“ Hauses auf den Traditionsspruch des Gewandhauses. Dieser stand schon im historischen Gewandhaus-Gebäude und ist auch heute noch an der Orgel zu lesen:

„Res severa verum gaudium“

Kurt Masur sagte damals: „Ich will es einmal sehr frei übersetzen: Es macht eben Mühe, den Menschen eine wahre Freude zu bereiten!“, womit er die „Mühe der friedlichen Revolution“ meinte.

Blickt man auf das Pensum des Musikvereins-Chores im Jahr 1989 (neben der Tonhalle Düsseldorf waren das die sehr unterschiedlichen Auftrittsorte in Hamburg, Berlin-West, Paris, Berlin-Ost, Dresden, Leipzig, Köln, Gent, Frankfurt, Hoechst, Amsterdam), könnte der Wahlspruch des Gewandhauses ohne Zweifel auch für die Sängerinnen und Sänger des Konzertchores der Landeshauptstadt Düsseldorf gelten. Neben der Einstudierung unterschiedlichster Werke hatte man es immer auch mit der „Mühe“ zu tun, sich jedes Mal auf neue Dirigenten, neue Interpretationen und neue akustische Umfelder einzustellen, selbst wenn dies zum Schluss meist ein „verum gaudium“, eine wahre Freude wurde.

Erinnerungen von Rainer Großimlinghaus im Juli 2021

Bild: Kurt Masur

Beitragsbild: Damnation de Faust im Schauspielhaus Berlin (heute Konzerthaus) am Gendarmenmarkt - DDR-Tournee 1989