Eine Matthäus-Passion in nur 1 ¾ Stunden? Man will es aus heutiger Sicht kaum glauben, aber Aufführungen der großen Passionen und Oratorien in der jeweils vollständigen Fassung sind erst innerhalb einer relativ jungen Vergangenheit wieder zur Selbstverständlichkeit geworden. Somit entsprach das hier dokumentierte Konzert vom April 1959 durchaus dem Zeitgeist jener Tage, und so berichten Zeitzeugen- in Frankreich zumal, da man sich dort erst recht kaum vorstellen konnte, den Zuhörern ein so schwergewichtiges Werk in voller Länge zuzumuten; und dann noch in einer fremden Sprache! Auch 1965, als der Musikverein erneut unter Ljubomir Romansky am gleichen Ort in Paris mit der Matthäus-Passion gastierte, waren die Striche (größtenteils zu Lasten der Arien) erheblich.
Die vorliegende Aufnahme verdankt der Städtische Musikverein der Société Vocale Internationale Josef Traxel. Durch das Internet aufmerksam geworden bot uns Prof. Dr. Gérard Mohr auf 2 CDs einen Rohschnitt der ORTF-Aufzeichnung an, der Grundlage für diese Schallarchiv-Produktion wurde. Leider ist das Ausgangsmaterial teilweise von sehr unterschiedlicher Qualität; die Aussteuerungs- und/oder Aufnahmeschwankungen in Dynamik und Frequenzumfang sind erheblich, der Bandgeräuschpegel ist beträchtlich, wobei davon auszugehen ist, dass der Sendemitschnitt in ¼-Spurtechnik bei 4,75 cm/sec. aufgezeichnet wurde. Dies hat beim Alter des Materials zu zahlreiche Tonaussetzern geführt, die jedoch im Zuge der Nachbearbeitung großteilig behoben werden konnten. Auch ließ die seinerzeitige Mikrofonierung offenbar kaum ein differenziertes Abbild von Chor und Orchester zu. Gleichwohl erlebt man ein zutiefst beeindruckendes Zeugnis der Kunst von Josef Traxel, der an Stimmkultur, Stilsicherheit und Klangschönheit kaum zu überbieten sein dürfte; und das trotz der beschriebenen aufnahmetechnischen Mängel!
Die Pariser Matthäus-Passion von 1959 war auch eine erste Begegnung mit dem 1912 geborenen bulgarischen Dirigenten Ljubomir Romansky. Er führte in der Folgezeit zahlreiche Konzerte mit dem Städtischen Musikverein sowohl in Düsseldorf ( Carmina, Matthäus-Passion) als auch beim Flandern-Festival (Berlioz-Requiem, Missa Solemnis von Beethoven) auf, ferner Verdis Messa da Requiem und Beethovens 9. Symphonie bei Gastspielen des Chores in Herne und Osnabrück.
Ljubomir Romansky starb im Jahre 1986.