Lange haben Manfred Hill und ich darüber nachgedacht, ob wir für diese „Erinnerungen“ das Jahr 1958 oder 2020/21 nehmen sollten. 1958 ist insofern nicht zu verachten, als das das Jahr der ersten Konzertreise der Städtischen Musikvereins nach dem 2. Weltkrieg war. Man möge sich in die Menschen jener Zeit versetzen: auch die Französinnen und Franzosen hatten unsäglich unter uns Deutschen gelitten, und das war 1958 noch gar nicht so lange her. Also gab es „Herzklopfen“ auf beiden Seiten, so berichteten mir noch viele Chormitglieder, die ich in den 70er Jahren kennenlernen durfte. Nur: es gab keine Tondokumente von jener historischen Tournee. Unverhofft und -ehrlich gesagt- auch unerwartet fand dann im Jahr 2020 (!) ein freundlicher Mensch aus Österreich auf dem Dachboden seines Hauses bei Aufräumarbeiten eine Tonbandspule mit dem Rundfunkmitschnitt der Missa solemnis (04.06.1958, Schallarchiv Vol. 185). Kaum fassbar für uns, da wir doch alle Recherche in Frankreich (INA) wie auch in Deutschland (DRA, WDR, DLF,DW) ergebnislos ad acta legen mussten.
Noch kurioser war dann das Ergebnis unserer Internet-Suche im April/Mai 2021 nach einem Bild von Eugen Szenkar, das wir im Zusammenhang mit der abschließenden Aufarbeitung der Chronik von Manfred Hill als bessere Alternative zu den im Bestand des Archivs vorgefundenen Szenkar-Portraits aufspüren wollten. Dabei entdeckte ich „so nebenbei“ das Cover einer Szenkar-CD, die mir völlig unbekannt war. Bei näherem Hinsehen stellte sich doch tatsächlich heraus, dass auf dieser CD die 9. Symphonie von Beethoven festgehalten war. Ein kanadisches Tonstudio aus der Nähe von Montreal bearbeitet seit mehreren Jahren alte Tondokumente auf höchst professioneller Art. Die dazu gehörende Vertriebsfirma hat ihren Sitz in Saint Albans, VT/USA. Selbstverständlich habe ich nach Rücksprache mit Manfred Hill diese CD geordert und stellte fest, dass es sich hierbei um einen ganz außerordentlich gut erhaltenen Rundfunkmitschnitt des ORTF vom 03.06.1958 aus dem Theatre National de Chaillot, Paris handelte. Schmunzelnd las ich übrigens auf der Rückseite der CD, dass sogar der Name des Chores exakt gedruckt war: „Städtischer Musikverein zu Düsseldorf“, was deshalb bemerkenswert ist, weil seinerzeit sowohl die Plakate, als auch die Programmhefte „nur“ von einem „Choeur de Dusseldorf“ sprachen.
Da es sich bei dem in Rede stehenden „St.Laurent Studio“ offensichtlich um eine mehr oder weniger Liebhaberschmiede für alte Opern- und Konzertaufzeichnungen (life) handelt, haben wir uns entschlossen, die 1958er 9. Symphonie aus Paris (mit einigen wenigen Korrekturen) dem Schallarchiv -und nicht der Diskografie- zuzuordnen (Schallarchiv Vol. 196).
Konsequenz: Niemals aufgeben zu suchen. Die nun vollständig vorliegenden Tondokumente der ersten Auslandsreise des Musikvereins-Chores nach dem Krieg sind ein grandioses Beispiel dafür!
Auch noch bemerkenswert: Mit dieser Konzertreise begann eine sehr intensive Tournee-Tätigkeit des Musikvereins-Chores durch nahezu ganz Europa und darüber hinaus (USA/Israel), die Ende der 80er Jahre des XXsten Jahrhunderts ihren absoluten Höhepunkt fand. Die guten Beziehungen der Düsseldorfer Generalmusikdirektoren Eugen Szenkar und Jean Martinon zu den großen Orchestern Frankreichs waren mit ein Grund dafür.
Erinnerungen von Rainer Großimlinghaus - am 21.5.2021