Es gibt wohl grundsätzlich zwei Herangehensweisen an die meisten alt-ehrwürdigen Partituren: zum einen die historische oder historisierende, zum anderen den Betrachtungswinkel aus späterer, unseren Tagen näher liegender Sicht. Gustav Mahler hatte sich in seiner Zeit für letzteres entschlossen, und tat dies sicher auch aus seiner Erfahrung als Dirigent heraus. Ein Komponist unserer Tage, Peter Ruzicka, steht in Sachen Beethoven, 9. Symphonie auf vergleichbarer Position: Er hat die Wiederherstellung des Gleichgewichts von Bläsern und Streichern im Sinn. Es kommt hinzu, dass ein Analytiker weil Musikwissenschaftler- wie Peter Ruzicka zudem die Verschärfung der Kontraste und Akzente eines so populären und dadurch auch oftmals abgeschliffenen Werkes wie das der Beethovenschen Chorsymphonie im Hinterkopf hat (siehe auch Vol. 116). Da ist es somit fast ein schicksalhaftes Ausrufezeichen, wenn mitten in die neuerlich wieder entbrannte Diskussion um originale Aufführungspraxis (Israel in Ägypten, Frieder Bernius) ausgerechnet Ruzickas Interpretation des Song of Joy auf dem Spielplan des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf steht. Die Frage nach dem Entweder Oder bzw. die Alternative des Sowohl als auch drängt sich auf, stimmt nachdenklich und fordert zum Disput. In Zeiten von Vielfalt und Liberalität sollte das ja eigentlich kein großes Thema sein, wenn aber aus dem Bekenntnis zum vermeintlichen Originalklang ein jegliche Alternative ausschließendes Glaubensdiktum zu werden droht, ist höchste Wachsamkeit und Vorsicht geboten: es könnte den Tod eines tradierten Konzertchores wie den des Musikvereins bedeuten.
In Bonn 2010 war das jedoch anlässlich des renommierten Beethovenfestes kein ernst zu nehmendes Thema. Die Tradition des Bonner Beethovenfestes reicht zurück bis in das Jahr 1845, als zur Einweihung des Beethoven-Denkmals anlässlich des 75. Geburtstages des Komponisten auf dem Münsterplatz ein dreitägiges Musikfest stattfand. Sein heutiges Profil als jährlich vier Wochen lang im Herbst stattfindendes internationals Festival erhielt das Beethovenfest Bonn 1999.
Bonn 2010 zeichnet sich nicht nur durch seine künstlerischen Qualitäten in unter-schiedlichsten Sparten (Kammermusik, Symphoniekonzerte, Symposien) aus, sondern stellt sich durch die ausgiebige Medienpräsenz einem weit über die lokalen Grenzen hinaus beteiligtem Publikumskreis. Der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf durfte bereits 1930 unter seinem damaligen Chefdirigenten Hans Weisbach in der Beethovenstadt konzertieren; nach dem 2. Weltkrieg sei auf die Gastspiele unter André Cluytens, Jean Martinon und Volker Wangenheim (1961 und 1963), sowie das Beethoven-Marathon vom 15.12.1995 mit Christus am Ölberge, begleitet vom Neuen Bachischen Collegium Musicum Leipzig unter der Leitung von Burkhard Glaetzner verwiesen.
Zuletzt gastierte der Musikverein am 14. Dezember 2003 mit einem Berlioz-Programm unter der Leitung von Roman Kofman (Vol. 52) in der Beethovenhalle zu Bonn.
Übrigens:
Es ist schön, wenn es heute, fast auf den Tag genau 20 Jahre nach der Vollendung der Deutschen Einheit, wieder zu den kulturpolitischen Selbstverständlichkeiten unseres Landes gehört, dass die Staatskapelle Weimar gemeinsam mit dem Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf beim Beethovenfest in Bonn Beethovens 9. Symphonie aufführt.
Ich finde, auch daran sollte man einmal denken.........
Kleinmachnow, 30. September 2010
gez.
Rainer Großimlinghaus