Lebenslauf
Vereinsleben: Bewegte Zeiten – Verschlungene Wege zum Erfolg

München und Berlin waren und sind wohl auch noch heute die Städte mit dem ausgeprägtesten Musikleben in Deutschland. Beide Adressen standen ganz oben auf der Wunschliste in Sachen Deutschland-Gastspiele:

„Der Weg nach München begann in Berlin, der Weg zu den Berliner Philharmonikern ging über München, die Verbindung zu Hamburg knüpft an Berlin, das RSO und seinen damaligen Intendanten an!

Wie das?

Meine erste Begegnung mit Wolfgang Sawallisch war anlässlich einer Aufführung von Schumann's Faust-Szenen bei den Berliner Festwochen 1979. Damals kam die "unmögliche" Idee eines Konzertes des Städtischen Musikvereins im Nationaltheater München erstmals zur Sprache. Wie üblich in diesem Geschäft gab es in den folgenden Jahres zahllose Up's and Down's; die Reise zu den Münchner Opernfestspielen 1982 war keinesfalls geradlinig: zunächst Elias, dann Schöpfung, dann das berühmte "es geht nicht" und letztlich 2 konzertante Aufführungen von Schumann's Genoveva (Vol. 36); zwei Jahre später, im Juli 1984, ein grandioser Elias ( Schallarchiv Vol. 16).

Selbst wenn man pathologischer Optimist zu sein glaubt, eine musikalische Zusammenarbeit mit dem Spitzenorchester der Welt, den Berliner Philharmonikern, schien so realistisch wie der berühmte Sechser im Lotto. Die Philharmonie in Berlin aber als der am besten klingende Konzertsaal überhaupt musste doch eine lösbare Aufgabe sein!

Berlin hatte und hat eine ganze Reihe herausragender Orchester, wovon das RSO unter der damaligen Leitung von Riccardo Chailly eine besondere Stellung einnahm. Das Radio-Sinfonie-Orchester Berlin (heute: Deutsches Sinfonie-Orchester) hatte damals zudem den für den Musikverein unschätzbaren Vorteil, entgegen den meisten anderen Rundfunkorchestern keinen eigenen großen Konzertchor zur Seite zu haben (sieht man vom RIAS-Kammerchor einmal ab). So wurde -gemeinsam mit dem Chor der St.-Hedwigs-Kathedrale- das Großprojekt Gurre-Lieder (Schallarchiv Vol. 119) realisiert, es folgten unter Chailly später noch Mahler's 2. Symphonie (Schallarchiv Vol. 38) sowie die 3-sätzige Version des Klagenden Liedes.

Grundsätzlich muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass alle Konzerte mit dem RSO natürlich auch vom Rundfunk mitgeschnitten wurden, eine Zusatzvereinbarung, auf die wir zunehmend auch bei anderen Projekten und an anderen Orten großen Wert gelegt haben. Die Breitenwirkung einer Rundfunkaufzeichnung im Zeitalter der Medien liegt auf der Hand, ganz zu schweigen von finanziellen Aspekten, die die aufwendigen Konzertreisen zumindest etwas "abfedern".

Ein besonders glücklicher Umstand ergab sich dadurch, dass die Gurre-Lieder wie auch Mahlers Klagendes Lied von der DECCA in Berlins legendärer Jesus-Christus Kirche produziert wurden. Beide Aufnahmen sind trotz mittlerweile erheblicher Konkurrenz (Gurre-Lieder: Boulez, Abbado, Sinopoli, Metha; Klagendes Lied: Sinopoli, Rattle, Hickox) "Referenz-Aufnahmen", was natürlich auch eine Empfehlung für die jeweilige Chorleistung bedeutet.

Wichtig in diesem Zusammenhang aber ist die Tatsache, dass der Städtische Musikverein mit solchen Produktionen am Weltmarkt nachhaltig aus dem Schatten des Schumann-Spezialchores heraustreten konnte.

Ein weiterer Schritt in diese Richtung war 1992 der Live-Mitschnitt der 9. Symphonie unter Wolfgang Sawallisch als Abschluss seiner Gesamteinspielung aller Beethoven Symphonien mit dem Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam für EMI.

Mitten in die Vorbereitungen zu den Gurre-Liedern von Arnold Schönberg platzte seitens der Berliner Festwochen eine Anfrage zur Mitwirkung an der 13. Symphonie "Babij Jar" von Dimitrij Schostakowitsch, Partner des Konzertes am 8. September 1985 waren das Berliner Philharmonische Orchester unter Charles Dutoit, aber das Ganze bitte auf Russisch (natürlich!). Eine Anfrage aus der Abteilung "Das kann man nicht absagen!" (Schallarchiv Vol. 5)

Und da war sie dann Realität, die "Unmöglichkeit" mit dem Berliner Philharmonischen Orchester, einem weltbekannten Spitzendirigenten bei den Berliner Festwochen in der Philharmonie und das alles noch live und bundesweit im RIAS und Deutschlandfunk zu musizieren!

Am 13. und 14. September 1987 kam dann das zustande, was man den Olymp aller Hoffnungen und Wünsche eines Konzertchores bezeichnen kann: gemeinsame Konzerte bei gleichzeitiger EMI-Schallplattenproduktion mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch, wiederum in der Berliner Philharmonie (Mendelssohns Lobgesang und Schumanns Missa sacra).

Was habe ich mir alles anhören müssen, als ich eingangs der 80er Jahre mit solch einer Idee antrat! Aber wenn man Großartiges will, muss man "Unmögliches" anstreben.

Und Hamburg? Dr. Peter Ruzicka, langjähriger erfolgreicher Intendant des RSO in Berlin ging mit Gerd Albrecht als Chefdirigent nach Hamburg an die Staatsoper (1998 ans Concertgebouw nach Amsterdam und anschließend als künstlerischer Leiter zu den Salzburger Festspielen). Folge: am 8., 9. und 10. Januar 1989 sang der Städtische Musikverein zu Düsseldorf in der Hamburger Musikhalle mit dem Philharmonischen Staatsorchester unter der Leitung von Gerd Albrecht die Grande Messe des Morts von Hector Berlioz (Schallarchiv Vol. 14); am 21., 22. und 23. Februar 1993 folgte eine konzertante Aufführung von Schumann's Manfred. Letztlich wurde der Chor für das Jahr 2004 zu den Salzburger Festspielen mit Ligeti’s „Requiem“ in die Felsenreitschule (zusammen mit den Bamberger Symphonikern) eingeladen, was allerdings aus probentechnischen Gründen abgesagt werden musste.

Ein zweite Verbindung nach München war schon seit Mitte der 80er Jahre geknüpft worden: die Münchner Philharmoniker hatten mit der neuen Philharmonie am Gasteig nach Jahrzehnten der "Übergangslösung Herkulessaal" (Münchner Residenz) einen Konzertsaal zur Verfügung, der auch die Aufführung  symphonischer Großwerke adäquat zuließ. Am 29. Juni 1990 war der Chor des Musikvereins Partner des Philharmonischen Chores, München in der von Lorin Maazel geleiteten 8. Mahler. Es handelte sich hierbei um ein von Rundfunk und Fernsehen übertragenes UNICEF-Benefizkonzert zur 80. Wiederkehr der Münchner Uraufführung des Werkes ( Schallarchiv Vol. 37).

Am 22., 23., 24. und 16. Juni 1994 musizierte man erneut gemeinsam mit den Münchner Philharmonikern und dem Philharmonischen Chor, München. Diesmal stand unter der Leitung von Dimitrij Kitajenko das Berlioz-Requiem auf dem Programm. (Schallarchiv Vol. 127)“

Erinnerungen von Rainer Großimlinghaus im Dezember 2017

Bild: München - Gasteig - Maazel - Mahlers 8. Symphonie - München auch 1992 - Kitajenko - Berlioz-Requiem