Für sein Jubiläumsjahr entschieden sich die im TAG DER ARCHIVE vereinigten Düsseldorfer Archive dem Städtischen Musikverein zu Düsseldorf e.V. gegr. 1818 die Organisation zur Eröffnung des TdA zu übertragen. Medienreferent Georg Lauer übernahm diese Aufgabe (siehe auch seinen Vorbericht vom ......)
Einleitung zum musikalischen Teil des Eröffnungsabends
beim „Tag der Archive 2018“ am 3. März 2018 im Hetjens-Museum
„Wir bringen das Archiv zum Klingen“
Georg Lauer und Udo Kasprowicz
GL:
Bevor ich das Mikrofon zu einer Einführung in den Teil des Programms, das mit „Wir bringen das Archiv zum Klingen“ überschrieben ist, an Udo Kasprowicz übergebe, gestatten Sie mir noch auf eine historische Petitesse dieses Hauses mit weitreichenden Folgen einzugehen:
Wir befinden uns hier in dem Teil des Hetjens-Museums, das auch heute noch als „Palais Nesselrode“ bekannt ist. Zu Beginn des 19 Jahrhunderts, als Düsseldorf unter Napoleon die Hauptstadt des Großherzogtums Berg war, gehörte es dem Präfekten des Rhein-Departements Franz Bertram Reichsgraf von Nesselrode-Ehreshoven Reichenstein.
Der bekam am 16.9.1812 einen Brief vom hiesigen Kapellmeister am Bergischen Theater Johann August Franz Burgmüller, der darin seine Bestallung als städtischer Musikdirektor an die Bedingung eines Jahresgehaltes von 600 Francs band.
Burgmüller war schon einige Jahre Lehrer am Düsseldorfer Gymnasium, wo er auch den nachmals größten Dichter der Stadt Harry Heine unterrichtete, war für die Kirchenmusik in St. Maximilian und St. Lambertus zuständig und hatte 1807 die Düsseldorfer Music-Akademie gegründet, die heute Abend eine sehr bedeutende Rolle spielt!
Deren Mitgliederverzeichnis von 1809 weist nämlich zwei bedeutende, in unsere Tage reichende Namen aus: den Expeditor Lambert Lohausen und den Professor und General-Exculpator Franz Joseph Lohausen.
Darauf machte uns vor einiger Zeit Dr. Herman Lohausen aus Kalkum aufmerksam, den wir als einen direkten Nachfahren aus der genannten Linie heute Abend mit seiner Familie hier herzlich begrüßen. Sie werden gleich erfahren, warum und wie es zu dem zweiten musikalischen Beitrag des heutigen Abends gekommen ist.
Dazu bitte ich nun den Autor des aktuellen NeueChorszene-Beitrags Udo Kasprowicz ans Mikrofon.
Vielen Dank!
UK:
Guten Abend meine Damen und Herren!
Vereinsarchive entziehen sich einer Systematik, einer vereinheitlichenden Erfassung
Sie sind in ihren Anfängen Zufallsprodukte.
Ein glücklicher Zufall lässt einen Schriftführer in die Vereinsleitung gelangen, der die Aktivitäten des Vereins und die öffentlichen Reaktionen darauf sammelt und mit zeitgeschichtlichen Erläuterungen versehen ablegt.
Oder der Vereinszweck erlaubt bzw. lässt eine Ablage mit dem Ziel der Traditionsbildung von Anfang an sinnvoll erscheinen. Bei der Gründung eines Angelvereins zum Beispiel steht das Vereinsarchiv sicher nicht im Vordergrund. Ein Verein, der sich die Erhaltung eines Architekturdenkmals zum Ziel setzt, sollte die Zeugnisse seiner Aktivitäten gewissenhaft aufbewahren.
Der 200 Jahre alte Musikverein siedelt sich irgendwo zwischen diesen beiden Extrembeispielen an. Zeugnisse des Vereinszwecks konnte er ca. 130 Jahre lang nicht archivieren, weil Aufnahmen auf Tonträgern zwar seit ca. 1900 möglich sind, aber erst in den dreißiger Jahren zum Standard der Rundfunkanstalten gehörten. Allerdings sammelte der Musikverein von Anfang an Noten und Orchesterpartituren, auch wenn sie und gerade weil sie mit handschriftlichen Anmerkungen der Dirigenten versehen sind. Dazu kommen Konzertprogramme, Autographen der am Konzert beteiligten Solisten und natürlich die Korrespondenz um die Vor- und Nachbereitung der Konzerte, aber auch in der Kontaktpflege. Da der Musikverein sich zwar in der Tonhalle wie zu Hause fühlt, dort aber gleichwohl nicht zu Hause ist, sind die Bestände ausgelagert. Ein Teil ruht friedlich im Stadtarchiv, ein anderer Teil fand Asyl im Heinrich Heine Institut. Seit 40 Jahren archiviert der Musikverein auch Zeugnisse seines Vereinszwecks. Glücklicherweise muss er dazu nicht, wie der Angelverein, die größten Fische ausstopfen, sondern er hat ein Schallarchiv angelegt, in dem etwa 200 Konzertabende aufgezeichnet sind.
Wir möchten Sie heute Zeuge werden lassen bei der Entstehung einer solchen Schallarchivalie.
Die Geschichte dieses Fundstücks ist ungewöhnlich:
In der Post liegt ein Gedicht. Wirklich ein Gedicht?
Zentriert gedruckt etwa wie die Lyrik von Arno Holz, aber ohne die kunstvolle Achsenspiegelung, die den Werken von Arno Holz die Form eines Baumes oder eines Schmetterlings verleiht, kein Reim, keine Metrik, allenfalls vielleicht ein Rhythmus. Die langen Zeilen weisen eine Mittelzäsur auf, so dass man von An- und Abversen reden kann.
Zum Beispiel „Wenn nimmer wieder mir ein Funke Freude glimmt.“
Wenn also kein Gedicht, dann eher ein Dramenmonolog, in dem der Sprecher seine Situation reflektiert und neuen Lebensmut gewinnt. Um die Sprache Schillers, Goethes und Hölderlins dingend, ihre Ausdruckskraft aber nicht mehr erreichend, beklagt der Sprecher fern der Zivilisation, in tiefer Einsamkeit, den Verlust von Freundschaft, Liebe und Hoffnung. Auf dem Tiefpunkt des Lebens Verdruss beschwört er Gott (den er ganz im Stile einer von der Säkularisation angekränkelten Klassik „Gottheit“ nennt) ihm den Glauben an eine andere Bestimmung zu erhalten als im Grabe zu modern. Mit dem trotzigen Bekenntnis „Du Unerschaffener schufst nur zur Freude mich.“ schließt das Gedicht.
Was hat es nun damit auf sich?
Der Absender des Briefes, Herr Dr. Herman Lohhausen, dem Musikverein über seine Zeitschrift NeueChorszene freundschaftlich verbunden, fand heraus, dass der Dichter Ferdinand Lohausen als Neffe der bereits erwähnten Academie-Mitglieder Lambert und Franz-Joseph in den Umkreis des Düsseldorfer Musiklebens gehört, aus dem 1818 der Städtische Musikverein entstand.
Jetzt kommt der bereits von Herrn Lauer erwähnte Johann August Franz Burgmüller, den Graf Nesselrode tatsächlich zum Städtischen Musikdirektor befördert hatte, wieder ins Spiel. Der scharte in dieser Funktion mehr und mehr musikbegeisterte Bürger um sich und organisierte zu Pfingsten 1818 das erste Niederrheinische Musikfest, das bis 1958 112 Wiederholungen erlebte. Eine sichere Basis für diesen Erfolg schuf ihm der Zusammenschluss verschiedener Musikvereine der Stadt zum Verein für Tonkunst, aus dem Burgmüller im Oktober 1818 den Städtischen Musikverein gründete.
Burgmüller hatte zwei musikalische Söhne: den 1806 geborenen Friedrich, Autor der berühmten „Burgmüller-Etüden“, und den vier Jahre jüngeren Norbert, dessen Walzer in Es-Dur unsere Pianistin Rie Sakei eben so gekonnt vorgetragen hat.
Als Vater Friedrich August schon 1824 verstarb, brauchte der 14-jährige Sohn Norbert einen neuen Lehrer und der wurde - sie ahnen es - in dem Düsseldorfer Geiger und Komponist Joseph Kreutzer gefunden, aus dessen Feder die Komposition stammt, die wir in wenigen Minuten aus dem 162 Jahre währenden Dornröschenschlaf erwecken werden.
Die „Fantasie für Gesang“ ist als gedruckte Version 1856 der Prinzessin Wilhelmine Luise von Preußen zugeeignet. Der Komponist kann die Delegation nicht veranlasst haben. Er starb 1840 an Lungentuberkulose und hatte keinen Anlass, der damals lebens- und reiselustigen Dame von etwa 40 Jahren einen Text dieses Themas zu widmen. 1856 sah es anders aus. Prinzessin Wilhelmine Luise lebte schon seit Jahren sehr zurückgezogen auf Schloss Eller. Kontakte bestanden wohl nur zu ersten Kreisen in Düsseldorf, zu denen Franz Ferdinand Lohausen, über den weitere Einzelheiten nicht überliefert sind, sicher zählte. Die Widmung dieses gefällig komponierten Liedes düsteren Inhaltes geht also sicherlich auf ihn zurück.
Möglicherweise erklingt das Stück heute Abend erst ein zweites Mal nach seiner Drucklegung und teilt damit das Schicksal vieler Kompositionen von Kleinmeistern. Was uns zu dieser Seltenheits-Annahme berechtigt ist ein Hinweis aus der Probe im Klavierhaus Schröder. Die Koloraturen für die Sopranistin hat augenscheinlich ein Geiger gesetzt, dem Rücksicht auf den menschlichen Atemfluss beim Singen fremd war. Behutsame Eingriffe der Sängerin behoben diesen Missstand.
Frau Carolina Rüegg und Frau Rie Sakai, beide dem Städtischen Musikverein eng verbunden, die eine als Sopranistin, Singleiterin und gelegentliche Mitsängerin, die andere als bewunderte Korrepetitorin am Flügel erwecken die Miniatur zum Leben und lassen sie zu einem Stück klingender Tradition des Musikvereins und damit der Musikgeschichte Düsseldorfs werden.