„WELCHE DONNERWORTE …“ – im Pianissimo!
Probennotat von Karl-Hans Möller (Bass)
Die mögliche Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs kennzeichnet einen wichtigen und zudem neuen Aspekt der jetzt über einen langen Zeit erlebten Probenarbeit am Oratorium „Saul“. Die Beschäftigung mit diesem großartigen Werk, dessen musikalische Qualität und musikhistorische Bedeutung sich vielen Sängerinnen und Sängern erst langsam, aber dann sehr intensiv erschlossen hat, überbrückte die schwere Zeit der pandemiebedingten Einschränkungen.
Exakt heute (am 7.Oktober, dem Tag des Schreibens dieser Zeilen) jährt sich der letzte Auftritt des Konzertchors der Landeshauptstadt in der Tonhalle zum zweiten Mal. Danach übernahm Covid19 den Takt des Musizierens. Zunächst durften wir Kleinstgruppen mit Hilfe von Prof. Dennis Hansel Dinar, Constanze Pitz und Grant Sung von Zuhause aus am Bildschirm, vor teilweise klang-verzerrenden Mikrofonen korrigieren, was wir mit und nach dem Studium der ins Netz gestellten Vokalbeispiele erarbeitet hatten. Intensives Ringen um Melodie und Rhythmus ohne das Glücksgefühl erlebten Chorklangs brauchte Motivation und ein Ziel – eines, das jetzt wirklich erreicht ist!
Schon vor der Premiere genießen wir jetzt aus vollem Herzen das Vergnügen gemeinsamen Singens im Probensaal in wachsender Besetzung. Anfangs waren manche Stimmgruppen nur nahezu solistisch besetzt. In einer dieser Proben waren wir im Bass nur zu zweit, und zu Beginn des 10. Satzes nach Samuel Zornespredigt gegen Saul brüllte ich trotz nicht bemerkter Pianoforderung des Komponisten „Welche Donnerworte!“ im Fortissimo. Der Bass beginnt diesen Chorsatz des Erschreckens, ist also für dessen Attitüde zuständig. Also wurde ich freundlich auf meinen „faux pas“ hingewiesen – nicht ohne eine weitere Vertiefung des Verständnisses der dramaturgischen Linie des Oratoriums, dessen alttestamentarische Historie sich immer wieder neu erschließen musste.
Anfänglich starke Irritationen über sehr brutale Textpassagen relativierten sich durch die Erkenntnis einer kritischen Position des Komponisten zu der ungöttlichen Aggressivität und Gnadenlosigkeit. Die Probendisposition ließ natürlich kein lineares Erleben des Werkes zu, so dass das Bemühen des Chordirektors und seiner beiden AssistentInnen Constanze und Grant, immer auch auf die inhaltlichen Anschlüsse hinzuweisen und die Dynamik nicht nur mit Verweis auf die Vortragsbezeichnungen des Komponisten, sondern auf ihren inhaltlichen Impuls zu begründen, ein permanentes sein musste.
Irgendwie war ich ob meines Donnerwort-Irrtums beschämt, denn es war ja früher am Theater mein Beruf, die Dramaturgie eines Stückes zu ergründen, darzulegen und in die Interpretation einzubringen. Aber gerade deswegen habe ich die inhaltsbezogene und damit Logik transportierende Probenarbeit so genossen. Wir alle haben gemerkt, dass Tempi, Dynamik, Phrasierungen und Lautstärken, die sich mit dem Wissen um das „Was“ und „Wie“ der auf den Fortgang der Geschichte folgenden Wortaussage verbinden, leichter zu erkennen und zu verinnerlichen sind.
Das Resultat wird man TOI TOI TOI Ende Oktober bei 5 Konzerten in Essen, Köln, Duisburg, Dortmund und Düsseldorf erleben oder später auf der parallel produzierten CD hören können.
Karl-Hans Möller am 8.10.2021
Beitragsbild: Karl-Hans Möller
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Lest den Essay von unserem Chorfreund, Udo Kasprowicz hier.