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Was machte der Musikverein am 9.11.1989?

Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf und der Fall der Mauer in Berlin am 9.11.1989
-persönliche Erinnerungen von Rainer Großimlinghaus-

Der Chor des Städtischen Musikverein zu Düsseldorf und der Mauerfall in Berlin, wie passt das zusammen? Vergleichbar mit dem Projekt „100 Jahre Concertgebouw“, 8. Mahler 11.-17. April 1988 waren der Philharmonia Chorus London und der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf für die Zeit vom 10.-16. November 1989 mit dem gleichen Werk erneut in das Concertgebouw eingeladen. Unter der Leitung von Leonard Bernstein sollte für die Deutsche Grammophon (DGG) mit den Aufzeichnungen von Proben wie Konzerten der Bernstein-Mahler-Zyklus vollendet werden. Die Vorbereitungen waren inklusive der Solistenbesetzungen fertig, was im Chronikband „Aus Liebe zur Musik“ auf Seite 217 im Detail nachzulesen ist. Es sollte sich um eine Koproduktion zwischen dem Concertgebouw, AVRO, der DGG, der Stadt Amsterdam und dem Niederländischen Staat handeln.

In buchstäblich letzter Minute wurden die Kosten seitens des Concertgebouw als zu hoch beziffert, und das Projekt abgesagt. Übrig blieben die bereits vertraglich festgeschriebenen Verpflichtungen gegenüber den beiden Chören. Vor diesem Hintergrund suchte man ein Werk, das ebenfalls eine übergroße Chorbesetzung benötigt. Das Concertgebouw-Orkest entschied sich für die „Grande Messe des Morts“ (Requiem) von Hector Berlioz.

Leonard Bernstein stand nur zu Mahler bereit. Für das Berlioz-Requiem konnte kurzfristig Neeme Järvi verpflichtet werden. Da beide Chöre erst kürzlich das Berlioz-Werk in anderem Zusammenhang aufgeführt hatten, konnte somit der Tausch Berlioz gegen Mahler vollzogen werden. Die erste Berlioz-Aufführung war am Abend des 9. November 1989 im Concertgebouw. Als die Mauer fiel, standen die Chöre -und somit auch ich- auf der Bühne. Beim Verlassen des Podiums erreichten uns die ersten Glückwünsche von denen, die die Ereignisse am Fernsehen hatten verfolgen können. Ungläubig nahmen wird die Berichte der Niederländer und anschließend die pausenlosen Live-Berichte im Fernsehen zur Kenntnis.

Lange vorgeplant strahlte der WDR in seinem 3. TV-Programm zur gleichen Stunde den ersten Teil (Schumann-Messe) des vom DDR-Fernsehen mitgeschnittenen Eröffnungskonzertes der DDR-Tournee (Musikverein und Düsseldorfer Symphoniker unter David Shallon) vom Mai 1989 aus dem Schauspielhaus Berlin (heute: Konzerthaus Berlin) aus. Ebenfalls lange vorausgeplant standen für mich im Anschluss an die Amsterdam-Konzerte in Sachen Nachfolge-Gastspiele des Musikvereins Besuche in Berlin (DDR), Dresden und Leipzig für den 11., 12. und 13. November bevor.
Die Fahrt von Amsterdam nach Berlin am 11. über die Autobahn A2 bedeutete, dass ich angesichts der mir entgegen rollenden, in blauem Dunst sich bewegenden Trabbi-Lawine ab Anschluss-Stelle Bad Oeynhausen bis Berlin-Mitte gute 400 km geweint habe, und das nach meiner Erinnerung weder jemals vorher noch irgendwann danach. Auch die Montags-Demonstration in Leipzig vom 13.11.1989 werde ich nie vergessen…..

"Niemand braucht mehr vor den Deutschen Angst zu haben!" (Kulturminister (DDR) Hoffmann auf dem Empfang in Berlin im Mai 1989)

Kleinmachnow, den 9.11.2014

Ergänzender Bericht aus der Sicht des Musikvereinvorsitzenden Manfred Hill zum 9. November 1989:

Auch ich befand mich an diesem denkwürdigen Tag auf der Bühne des Concertgebouws in Amsterdam und sang mit großer Anteilnahme die großartige Totenmesse von Hector Berlioz.

Järvi, Neeme

Vor dem Konzert hatten wir zu Hause ein aufregendes Erlebnis weil zwei unserer Verwandten aus der DDR, ein Ehepaar, plötzlich vor der Türe stand und uns, meine Familie und die Familie meines Brunders, besuchte. Das Hallo war groß weil dies der erste Besuch als Ehepaar war und wir völlig überrascht waren. Mein Brunder und ich befanden sich in Amsterdam und meine Schwägerin beschloss die beiden mit dem Auto nach Amsterdam mitzunehmen und zu versuchen in das Konzert zu kommen. Die beiden DDR-Bürger ängstigten sich, weil sie ja nicht im Besitz eines Passes waren, ließen sich dann aber überreden und es ging nach Amsterdam bei strömendem Regen. Nach dem Konzert beschlossen wir in das dem Concertgebouw gegenüberliegende Restaurant Kayser zu gehen um das wunderbare Konzert zu feiern nicht wissend, dass wir einen das Konzerterlebnis weit übersteigenden Grund zum Feiern hatten: Überall kamen uns Menschen entgegen und berichteten vom Fall der Mauer. Es könnte sein, dass der Schabovski-Satz fiel als wir in der Schlussphase des Konzertes waren und vielleicht gerade da das großartige "Amen" sangen. Als wir dem Inhaber des Restaurants erzählten, dass unsere Begleitung DDR-Bürger seien stellte er die beiden auf den Tisch, beglückwünschte uns alle zum Mauerfall und gab eine Lokalrunde zu diesem unglaublichen Ereignis. Dann ging es sofort ins Auto zurück nach Düsseldorf unter ständigem Abhören des Rundfunks. Es war ja eine Zeit ohne Handys.

Manfred Hill am 9. November 2019

Bild: CD von diesem Konzert aus unserem Schallarchiv