Feiertag, 17. Juni 2020
In der alten Bundesrepublik Deutschland war lange Jahre der 17. Juni ein Feiertag, oder besser: ein Gedenktag. Gedacht wurde des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 in der damaligen DDR.
Diesem weniger schönen Anlass folgte nun am 17. Juni 2020 eine E-Mail aus Österreich, mit der niemand hier in Düsseldorf gerechnet hatte. Beim Aufräumen des Dachbodens eines netten Menschen in Österreich fand sich unter anderem ein Tonband aus dem Jahr 1958. Wie sich herausstellte war das der Mitschnitt einer Konzertaufzeichnung des „Office de Radiodiffusion Télévision Française“ (ORTF), heute Radio France.
Die Ansage des Sprechers vor und nach der Aufzeichnung belegt, dass es sich um das Konzert vom 4. Juni 1958 in der „Eglise Saint-Roch, Paris“ handelt. Der Blick in die Chronik des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf weist die Aufführung der MISSA SOLEMNIS von Ludwig van Beethoven unter der Leitung von Eugen Szenkar aus. Welch ein Fund! Der Verfasser der besagten E-Mail, fragte: „Falls Interesse besteht, kann ich Ihnen eine Kopie zukommen lassen (oder sogar hochladen), damit Ihr Archiv möglichst vollständig ist.“
Und ob Interesse besteht! Viele nahezu verzweifelte Anfragen und Versuche hatte es in den zurückliegenden Jahren gegeben, genau an dieses Tondokument zu kommen, wussten wir doch aus den Erinnerungsberichten damaliger Teilnehmer, dass das ORTF die Missa seinerzeit aufgezeichnet hatte. Mehrfache Rückfragen an das INA (Institut national de l'audiovisuel), Paris blieben erfolglos. Auch die permanenten Aufrufe an (ehemalige) Mitglieder oder interessierte Konzertbesucher der Tonhalle (und darüber hinaus) waren und blieben bis heute ohne Ergebnis. Nun kam also an jenem 17. Juni 2020 aus Österreich diese Mail, die uns in die Lage versetzt, einen Schatz aus der (immer noch) frühen Nachkriegszeit zu heben. Abgesehen von der Mitwirkung des Chores des Städtischen Musikvereins ist die Aufnahme auch eines jener wenigen Tondokumente, die den damaligen Düsseldorfer Generalmusikdirektor Eugen Szenkar in seiner -heute doch etwas sehr- pastosen Lesart Beethovenscher Partituren aufzeigt.
Natürlich hat auch hier die Zeit ihre akustischen Spuren hinterlassen. Beethovens Polyphonie (besonders in den Fugen) ist mit den heutigen Mitteln (Stereo, digital) um ein Vielfaches besser abbildbar. Man erinnere sich daran, dass zum Beispiel für den Chor im Mono-Zeitalter der 50er Jahre oft nur ein Mikrofon mitten ins Orchester (hoch) gestellt wurde. Und das war es dann. Wen wundert es also, dass besonders die vor dem Chor positionierten Posaunen recht präsent zu hören sind. Ferner wirkt der damals geradezu riesige Chor (180) durch eine solche Mikrofonierung etwas entfernt. Gleichwohl: Es ist und bleibt ein großartiges Dokument, und der Entdecker des Bandes in Österreich schließt nicht aus, dass ihm bei weiteren Aufräumungsarbeiten auf dem Dachboden seines Hauses nochmals die eine oder andere Tonbandspule in die Hände fällt…….
Konsequenz: Man sollte niemals aufgeben, denn so wurde für uns der 17. Juni 2020 zu einem denkwürdigen und wirklich positiven Feiertag!
Im Vol. 195 des Schallarchivs lesen wir:
Zu dieser Aufnahme
Dieser Aufnahme aus Paris gingen in gleicher Besetzung zwei Konzerte im Ramen der Städtischen Sinfoniekonzerte Düsseldorfs voraus (29. + 30. Mai 1958). Eugen Szenkar konnte, wie damals üblich, für Düsseldorf wie für die bedeutsame Paris-Reise, ein erstklassiges Solistenquartett verpflichten. Schaut man in die einzelnen Biografien dieser Künstler, so wird man feststellen, dass diese sich ausschließlich auf dem Höhepunkt ihrer internationalen Karriere befanden. Das Gastspiel in Paris war für den Chor des Städtischen Musikvereins, die Stadt Düsseldorf und für den kulturellen Nachkriegs-Austausch Bundesrepublik – Frankreich von heute kaum nachzuvollziehender Bedeutung. Die beiden Konzerte (9. Beethoven im „Palais de Chaillot“ am Vortag) und insbesondere die Missa hatten somit auch eine Botschaft: „Alle Menschen werden Brüder“ und die „Bitte um inneren und äußeren Frieden“. Dies den französischen Zuhörern zu vermitteln war für die Sängerinnen und Sängern des Düsseldorfer Chores mehr als nur ein Konzert: Es kam „von Herzen, möge es wieder zu Herzen gehen“ (L.v.Beethoven).
Der vorliegende Mitschnitt ist –wie sooft- ein wunderbarer Zufallsfund. Dem Musikfreund aus unserem Nachbarland sind wir zu großem Dank verpflichtet, denn besonders diese Dokumentation ist (auch aus geschichtshistorischer Sicht) von unschätzbarem Wert!
Rainer Großimlinghaus
-Schallarchiv-
am 23.6.2020 - 12.00 Uhr