Die Chance sich mit vielen anderen den „Flügeln des Gesanges“ hinzugeben, trifft in keinem Monat des Jahres auf mehr Bereitschaft als im vorweihnachtlichen Dezember.
Unter normalen Umständen haben chorerprobte Sänger und Sängerinnen in der Vorweihnachtszeit Hochkonjunktur, sei es bei Auftritten oder als Tongeber oder Stimmführerin bei der vokalen Familienmusik unter dem Weihnachtsbaum.
In diesem Jahr aber stellt die Coronawelle das Singen erneut wieder stark in Frage. Und ob jeweils der volle Chor der Gemeinden am Weihnachtsabend singen kann, ist noch ungewiss. Bedurfte es wirklich einer Pandemie, um sich an die Freude an harmonisch klingendem gemeinsamem Gesang zu erinnern? Aber mit dem Verlust von etwas scheinbar Selbstverständlichem erfährt man, dass das Verlorene doch etwas Besonderes ist.
Wir, liebe Mitglieder des Städtischen Musikvereins, haben das sehr intensiv erfahren. Das immer wieder modifizierte Singverbot während der ersten Monate des Jahres war zunächst eine harte Zeit für uns, denn der Sinn unserer Begegnungen ist ja das gemeinsame musizieren. Stattdessen standen Einzelstimmbildungen und Proben in Kleinstgruppen am PC auf dem Programm.
Aber schließlich war es uns im Oktober doch vergönnt, nach zwei bühnenfreien Jahren das beglückende Gefühl zu erfahren, wieder auf der Bühne zu stehen und das abenteuerlich einstudierte Oratorium „Saul“ in fünf verschiedenen Städten in Nordrhein-Westfalen aufzuführen.
Aber mit den Weihnachtsliedern hat es noch seine ganz eigene Bewandtnis. In seinem Roman „A Christmas Carol“ schildert Charles Dickens die wundersame Wandlung des Geizhalses und Misanthropen Scrooge durch ein Weihnachtslied, dessen traumhafte Wunderkraft ihn läutert, erwärmt und zum Geist der Weihnacht führt.
Und hat nicht jeder von uns „sein“ Weihnachtlied, das uns besonders anrührt? Vielleicht ist es ja „Stille Nacht. Heilige Nacht“, das erstmals in dem Jahr erklang, als der Musikverein gegründet wurde und durch seine Schlichtheit und Innigkeit besonders wärmt. Oder vielleicht ist es das Lied „Oh Tannenbaum“, das unser großes ungläubiges Staunen als Kinder im Angesicht des geschmückten Baumes besingt. Oder es ist ein anderes Weihnachtslied, das uns die Last der Maske vor Mund und Nase vergessen lässt. Der ganz besondere Reiz der Weihnachtslieder entsteht doch erst durch das eigene Singen.
Unsere SingPausenleiterinnen und -leiter wissen um diesen Verlust und dessen Folgen für ganze Jahrgänge. Aber ich bin sicher, dass sie nicht verzagen und schon heute Ideen für das „Danach“ entwickeln, auch wenn sich manche ihrer Schützlinge schon bald in Richtung „Last Christmas, I gave You my Heart“ orientieren.
Und genau diese Bereitschaft, sich den ungewohnten Herausforderungen jeden Tag aufs Neue zu stellen und kreativ neue Lösungen zu entwickeln zeichnet unser Leitungsteam aus, denen wir als Musikverein zu besonderem Dank verpflichtet sind: Prof. Dennis Hansel-Dinar, Constanze Pitz und Grant Sung und unsere Korrepetitorinnen Rie Sakai und Hajime Umetani sowie an meine Vorstandskollegen, die so intensiv gearbeitet haben. Ich danke auch den unermüdlichen SingPausenleitern und -leiterinnen sowie den für diese großartige Initiative Verantwortlichen Marieddy Rossetto und unserem Ehrenvorsitzenden Manfred Hill.
In diesem Sinne wünsche Ihnen und uns allen besinnliche Weihnachten mit viel eigenem Singen. Und bleiben Sie gesund!
Ihr
Stefan Schwartze
(Vorsitzender)