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Menschenrechtspreis für Sergej Lukaschewski

Am gestrigen Sonntag hat Adam Fischer, Chefdirigent der Düsseldorfer Symphoniker, in der Tonhalle Düsseldorf zum neunten Mal den Menschenrechtspreis der Tonhalle verliehen. Die Auszeichnung ging an den russischen Dissidenten Sergej Lukaschewski.

Der Preisträger leitete 15 Jahre das renommierte Sacharow-Zentrum in Moskau, bevor dieses im vergangenen Jahr wie unzählige andere Menschenrechtsorganisationen in Russland von den Behörden aufgelöst wurde. Als lautstarker Kritiker des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sah sich Lukaschewski gezwungen, mit seiner Familie sein Heimatland zu verlassen und lebt nun in Berlin. Gemeinsam mit dem Recherchezentrum CORRECTIV, dessen Veröffentlichung über Geheimpläne von Rechtsextremisten und AfD-Politikern zu Massenabschiebungen gerade eine beispiellose Welle von Demonstrationen in der gesamten Republik auslöst, gründete Sergej Lukaschewski das junge Exil-Medium „Radio Sacharow“. Das unabhängige, russischsprachige Internetradio bietet einen Raum für intellektuelle Freiheit und entwickelt Perspektiven für ein neues, demokratisches, offenes und freies Russland.

Adam Fischer stellte in seiner Laudatio den absoluten Wert der Menschenrechte heraus: „Die fürchterlichen Kriege und Konflikte, die aktuell auf der Erde toben, sei es nun Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, der Überfall der Hamas auf Israel oder der verheerende Krieg in Gaza, dürfen uns nicht dazu verleiten, Menschenrechtsverletzungen zu relativieren, sie aus nationalen Zusammenhängen durch die eine oder die andere Brille zu betrachten. Auch wenn es eine schwierige Zeit ist, um Neutralität zu bewahren, dürfen wir nie vergessen: Menschenrechte sind absolut. Sie sind universell, unabhängig von Geschlecht, Religion, Herkunft oder politischer Überzeugung. Sie gelten für Russen und Ukrainer, für Israelis und Palästinenser, für jeden einzelnen Menschen überall auf der Welt.“

Sergej Lukaschewski würdigte in seiner Dankesrede die vielen mutigen Russinnen und Russen, die gegen Putins Politik aufbegehren: „In Russland haben sich Tausende von Menschen einer aggressiven militaristischen Diktatur widersetzt, um die Wahrheit zu verteidigen. Alexej Nawalny, Wladimir Kara-Mursa, Ilja Jaschin, Maria Ponomarenko, Aleksandra Skochilenko, Ksenija Fadeeva, Lilia Tschanyschewa, Alexei Gorinow und hunderte andere Gefangene von Putin zeigen der Welt, dass die Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit in der russischen Gesellschaft fortbesteht und nicht durch eine Diktatur entwurzelt werden kann.“

Als Dank überreichte Lukaschewski auf der Bühne an Adam Fischer eine gläserne Plakette mit einem Zitat aus Sacharows berühmter Nobelpreisrede 1975: „Frieden, Fortschritt und Menschenrechte – diese drei Ziele sind untrennbar miteinander verbunden.“

Die Preisverleihung fand im Rahmen des Menschenrechtskonzerts mit den Düsseldorfer Symphonikern, dem Chor des Städtischen Musikvereins, dem Chor des Görres-Gymnasiums und Solistinnen und Solisten statt, auf dem Programm stand Mozarts Motette „Ave Verum Corpus“ und Haydns „Nelsonmesse“. Es dirigierte Adam Fischer.

Der Menschenrechtspreis der Tonhalle Düsseldorf 2024 ist mit 10.00 Euro dotiert und wird vom Freundeskreis der Tonhalle und der Stadtsparkasse Düsseldorf gestiftet. Sergej Lukaschewski wird das Preisgeld zu gleichen Teilen an zwei Organisationen spenden: an das 2023 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete ukrainische „Center for Civil Liberties“, das Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen russischer Truppen in der Ukraine dokumentiert, und an die „30 October Foundation“, die Familien von politischen Gefangenen in Russland unterstützt.

Text: Tonhalle Düsseldorf - Marita Ingenhoven (Pressesprecherin)

29.1.2024

Bild: Sergej Lukascweski und Adam Fischer mit dem Menschenrechtspreis der Tonhalle Düsseldorf nach der Verleihung im Konzert vom 28.1.2024 (Bild: susannediesner@tonhalle.de)

 

Dankesrede von Sergej Lukaschewski zur Verleihung des Menschenrechtspreises der Tonhalle Düsseldorf

Ich bitte um Entschuldigung, dass ich Englisch spreche. Es ist eine große Ehre für mich, in dieser wunderbaren Konzerthalle zu sein, auf dieser Bühne zu stehen und diese sehr hohe Auszeichnung entgegenzunehmen. Ich verstehe, dass drei Reden vor der Musik vielleicht etwas zu viel sind, aber ich bitte um Entschuldigung, dass ich Sie um einige weitere Minuten ihrer Aufmerksamkeit bitte.

Ich bin sehr beeindruckt, wie viele Menschen heute hier zusammengekommen sind, und ich glaube, dass Sie sich hier versammelt haben, wegen der Menschenrechte. Ich bin davon überzeugt, dass die Menschenrechte der wichtigste Protagonist dieser Ehrung sind. Ich bin nur einer von Tausenden Aktivisten, die sich darum bemühen, die Bedeutung der Menschenrechte für den Erhalt und die Entwicklung der Menschheit zu verdeutlichen.

Herr Fischer, Sie haben bereits viel über die Bedeutung von Andrej Sacharow gesagt und ich bin sehr dankbar, dies von Ihnen zu hören und danke Ihnen sehr. Heute ist Sacharow ein Symbol, dass die russische Opposition und verschiedene Aktivisten vereint. Er ist die Brücke geblieben zwischen dem gesunden Teil der russischen Gesellschaft und der freien Welt. Sacharow symbolisiert rationales Wissen gegen Verschwörungstheorien, moralische Ideen gegen die Boshaftigkeit der reellen Politik und die Würde einer menschlichen Persönlichkeit gegen die Bitternis der Macht. Sacharow war ein außergewöhnlicher Physiker und die Forschung der Teilchenphysik und der Kosmologie erlaubten ihm, zu erkennen, dass extrem kleine Dinge das Globale determinieren. Sacharow bestand darauf, dass das Ringen um Frieden und Menschenrechte unmittelbar ineinandergreifen (zusammengehören).

Heute habe ich auch ein kleines Geschenk für Sie: Es sind die wichtigsten Worte von Andrej Sacharow; „Frieden, Fortschritt und Menschenrechte“. Wir haben dieses Souvenir in Erinnerung daran gestaltet. Diese Worte sind wirklich sehr bedeutend, denn der Respekt vor den Rechten des Individuums ist von grundsätzlicher Bedeutung, nicht nur, weil wir glauben, das dies gut wäre. Menschenrechte sind ein fundamentaler Bestandteil der Formel für das Überleben der Menschheit. Die Missachtung der Menschenrechte führt zu Kriegen. Politische Regimes, die nicht die Rechte ihrer Bürger respektieren, scheuen keine militärische Aggression und heute ist Russland ein offensichtliches Beispiel einer solchen Situation.

Respektieren der Menschenrechte ist nicht nur eine notwendige Überzeugung, sondern auch eine Anforderung der Vernunft. Das Streben nach Frieden und friedlicher Koexistenz ist unvereinbar mit dem Tolerieren von Menschenrechtsverletzungen. Viele Jahre lang hoffte Westeuropa – und Deutschland im Besonderen –, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit der Schlüssel zum Frieden sei. Als russische Verteidiger der Menschenrechte massenhafte Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, politische Verfolgung und Morde anprangerten, hörten uns westliche Diplomaten und Politiker mit respektvoller Aufmerksamkeit zu. Sie halfen, Menschen zu retten und drückten ihre Besorgtheit aus. Aber dann schienen sie einen besonderen Knopf zu drücken, wechselten das Thema und verhandelten wie bisher auf die übliche Weise mit Putin. Seitdem ist die Politik nicht nur damit gescheitert, den Frieden in Europa zu retten, sondern führte auch zu großen Schwierigkeiten für die europäische Wirtschaft. Ich bin sicher, dass es eine bedeutende Lektion ist, die aus dieser Erfahrung gelernt werden muss. Die tragischen und dramatischen Ereignisse der vergangenen beiden Jahre lehrt uns eine andere Lektion. Und ich wende mich noch einmal Sacharow zu, aber auch der deutschen Literatur. Mit seinen ersten Schritten zum Weltruhm, den „Gedanken über Fortschritt, friedliche Koexistenz und Geistige Freiheit“ bezog sich Sacharow auf Goethe. (Ich bitte um Entschuldigung für meine deutsche Aussprache)

„Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss“.

Frieden und Leben kommen nur bei jenen an, die sie täglich auf’s Neue erobern. Heute eignen sich die Ukraine und ihre Menschen diese Worte buchstäblich an, indem sie mit Waffen ihre Freiheit verteidigen. In Russland müssen Tausende Menschen gegen eine militaristische Diktatur ankämpfen um die Wahrheit zu verteidigen: Alexej Nawalny (… und weitere Namen von Eingekerkerten) und Hunderte andere Gefangene Putins zeigen, dass die Wurzeln der Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit nicht durch die Diktatur ausgerottet werden können und in der russischen Gesellschaft verbleiben. Deshalb möchte ich die Möglichkeiten dieser Auszeichnung nutzen, um zwei Organisationen zu unterstützen, deren Arbeit sehr bedeutend ist. Das ist das „Ukraine Center for Civil Liberties“, das 2023 den Nobel-Friedenspreis bekam. Sie erledigen eine wichtige Aufgabe, die Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen während des Ukraine-Krieges. Die zweite Organisation ist die gerade erst gegründete „30 October Foundation“. Das Ziel ist die Unterstützung der Familien der russischen politischen Gefangenen.

Aber zurück zu Goethes Worten: sie richten sich nicht nur an jene, die sich einer existenziellen Herausforderung gegenübersehen, in der sie ihr Leben oder Freiheit riskieren. Sie sind an jedermann adressiert, denn heute sehen sich die Deutschen, die Menschen in Europa, die Bürger demokratischer Länder auch vor die Entscheidung gestellt, zu versuchen so zu leben wie zuvor oder auf die Herausforderung zu antworten, die Diktaturen für die Freiheit bedeuten. Und heute bedeutet diese Antwort: der Ukraine zu helfen, die starken Verteidigungsmöglichkeiten wieder aufzubauen, die Demokratie zu repräsentieren und Menschenrechte zu verteidigen. Und ich möchte diese Möglichkeit auch nutzen, „Correctiv“, einer journalistischen Organisation zu danken. An den ersten Tagen, als ich in Deutschland war, boten sie mir und meinen Kollegen Hilfe, Zusammenarbeit und Unterstützung an. Zusammen haben wir „Radio Sacharow“ ins Leben gerufen. Und diese Dankbarkeit ist verbunden mit der Ehre, Teil dieses Kollektivs zu sein, das die Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte in Deutschland kreativ unterstützt.

Ich möchte mit einigen Worten der Dankbarkeit schließen. Zuerst danke ich meiner Familie und besonders meiner Frau Katharina hier im Saal. Meine Liebe, du hast mich mit Liebe unterstützt und ermutigt während des ganzen schwierigen Weges. Und auch meine Dankbarkeit meinen Freunden und Kollegen vom Sacharow Center, Memorial, der Moskauer Helsinki Gruppe, der deutschen Sacharow-Gesellschaft und vielen Menschenrechtsorganisationen.

Noch einmal danke ich Ihnen, lieber Herr Fischer und dem ehrwürdigen Auditorium für diesen Preis und bezugnehmend auf Andre Sacharow glaube ich an die Kraft der menschlichen Intelligenz und das Vertrauen in die Idee der Menschenrechte, die die Menschheit in die Lage versetzen wird, den Weg zu einem beständigen Frieden und allgemeinem Wohlstand zu finden. Unter jenen Themen, die uns auf diesem Weg helfen, vereinigen und ermutigen, ist die Kultur und besonders die Musik – eine gemeinsame Sprache für Millionen. Lassen sie uns (das Konzert) genießen und stehen Sie zusammen für Menschenrechte ein.

(Aus dem englischen Redetext des Tonhallenmitschnitts übertragen von Karl-Hans Möller. Die Rede fand am 28. Januar statt. Beitragsbild: